1002 Zweiter Teil. Viertes Buch. $ 234.
fessionen fließende Ungleichheit der bürgerlichen und politischen
Rechte ausschließt!?, den Einzelstaaten die Befugnis entzogen,
Angehörigen bestimmter Religionsgesellschaften die Aufnahme im
Staatsgebiet zu verweigern. Die Reprobation einer Religions-
gesellschaft in dem Sinne, daß den Angehörigen derselben der
Aufenthalt im Staatsgebiete nicht gestattet wird, kann künftighin
nur im Wege der Reichsgesetzgebung stattfinden. Dagegen
ist reichsgesetzlich weder eine allgemeine Freiheit der Bildung
von Religionsvereinen noch eine Gleichheit der Religions-
übung für alle Konfessionen garantiert!®. Vielmehr weisen in
diesem Punkte die Landesgesetzgebungen große Verschiedenheiten
auf. Einige geben die Bildung von Religionsgesellschaften un-
bedingt frei und gewähren allen volle häusliche und öffentliche
Religionsübung?®. Nach diesen äußert sich die Einwirkung des
Staates auf die Rechtsstellung der Religionsgesellschaften nur noch
in der Erteilung von Korporationsrechten und der Verleihung von
Privilegien. Andere gewähren zwar das Recht der freien Ver-
einigung zu religiösen Gemeinschaften, dagegen keine Gleichheit
der Religionsübung; die Art derselben richtet sich nach den
besonderen Verwilligungen®2!, Noch andere endlich haben an dem
Erfordernis staatlicher Genehmigung für die Bildung von religiösen
Gemeinschaften festgehalten®®. Das Reformationsrecht der
deutschen Staaten hat demnach durch die neuere Entwicklung zwar
eine erhebliche Einschränkung erfahren, ist aber keineswegs _be-
seitigt worden®®, Dagegen muß nach Durchführung der völligen
Gleichberechtigung aller Konfessionen der Standpunkt des christ-
lichen Staates, welchen die deutsche Gesetzgebung früher ein-
nahm, als aufgegeben betrachtet werden ®.
18 RG betr. die Gleichberechtigung der Konfessionen, vom $. Juli 1869.
19 Vgl. auch Hinschius, Staat u. Kirche (in Marquardsens Handbuch)
359 N. 5; Fürstenau a. a. O. 244; Kahl a. a. O. 322; Anschütz, Komm. 1
226, 227, 265 ff., 306.
0 Preuß. Verf. Art. 12, Württ.G. vom 9. April 1872, Hess. G. vom
28. April 1875 Art. 2u.8. S.-Kob..Goth, SIGG 5 8, Old. StGG Art. 76.
»! Bad. G. vom 9, Okt. 1860 88 2 u. 3, Wald. Vers. 8$ 40 u.41. [Der
katholischen Kirche ist die volle öffentliche Religionsübung in Braun-
schweig und Mecklenburg erst durch G. vom 29. Dezember 1902, bzw.
V. vom 5. Januar 1903 zugestanden worden).
. .# Bayr. Ed. 88 3, 26, Sächs. G., die Einführung der Zivilstands-
register für Personen, welche keiner im Königreich Sachsen anerkannten
Religionsgesellschaft angehören, und einige damit zusammenhängende Be-
stimmungen betr., vom 20. Juni 1870 $ 2], Braunschw. G., die Rechts-
verhältnisse der Dissidenten betr., vom 25. März 1873 8 20. Derselbe Grund-
satz gilt in Elsaß-Lothringen für alle religiösen Vereinigungen über
zwanzig Personen wegen der auf diese anwendbaren Vorschriften des fran-
zösischen Vereinsrechtes. 8.-Mein. G,, die aus der Kirche Austretenden
betr., vom 7. Dez. 1878 Art. 6.
#3 Vgl. auch Rieker, Die rechtliche Stellung der evangelischen Kirche
Deutschlands (1893), S.387; Kahl a, a. O, 8, 9%, v. Bonin, Die praktische
Bedeutung des jus reformandi (1902).
24 Übereinstimmend mit der Auffassung des Textes: Kahl, Lehrsystem
1271 8.301; Anschütz, Komm, 1 260 ff., 267 ff. Anderer Ansicht Rieker a.a.O.