1032 Nachtrag.
zur Kriegsmüdigkeit, und drang langsam fressend vor an die
Wurzeln der Disziplin und damit an die Grundlagen aller
Leistungsfähigkeit, ja der Lebensfähigkeit des Heeres. Die bereits
angedouicte Gestaltung des Verhältnisses zwischen Offizierkorps
und Mannschaft, die kastenmäßige Trennung zwischen jenem und
dieser hat ihren Zweck, den Geist der Unterordnung und des
Gehorsams wachzuhalten, nicht nur nicht erreicht, sondern sogar
vereitelt. Solange das Heer siegreich war, blieb die Entfremdung
zwischen Führern und Truppe noch im Verborgenen, als das
Glück unsere Fahnen verließ, trat sie hervor. Die Entfremdung
wurde zur Einflußlosigkeit der Führer, die Einflußlosigkeit zuletzt
zur Ohnmacht. |
In gleichem Schritt mit der Zersetzung des einst so festen
Gefüges der Armee ging eine nicht minder verhängnisvolle Zer-
mürbung der moralischen Widerstandskraft der „Heimat“, des
Volkes im Ganzen, verursacht durch den immer drückenderen
Lebensmittelmangel und andere wirtschaftliche Nöte, Folgen der
vom Feinde über unser Land verhängten Absperrung. Durch
diese Zermürbung, nicht zu mindest auch durch innerpolitische
Unzufriedenheit? und durch das aufreizende Treiben einer
Händlerschaft, die sich an der Not des Vaterlandes und dem
Hunger ihrer Mitbürger schranken- und straflos bereichern durfte,
sind die Massen reif geworden zur Revolution, nicht so, daß sie
sich einmütig zu einem gewaltsamen Angriff gegen die bestehende
Staatsordnung entschlossen hätten, aber doch im Sinne einer
steigenden Empfänglichkeit gegenüber revolutionären Einflüssen
und Einflüsterungen. Und an solchen Einflüssen hat es nicht
gefehlt. Namentlich nicht seit der Staatsumwälzung in Rußland
(Frühjahr und Herbst 1917), welche die revolutionären Richtungen
e8 deutschen Sozialismus ermutigte, sie über die Technik und
Taktik des Umsturzes belehrte und bald auch als Spenderin
reicher Geldmittel für die Propaganda des Wortes und der Tat
auftrat.
Die Ereignisse nahmen weiter ihren Lauf. Wir gewannen
manche Schlacht, der Feind aber den Krieg. Einmal noch schien
unsern Waffen Erfolg beschieden — Frühjahrsoffensive 1918 in
Frankreich —, aber bald wendete sich auch dieses Blatt. Unser
Angriff ward zur Abwehr, zum Rückzug, schließlich zur Nieder-
lage. Im August und September 1918 entschieden sich auf den
Schlachtfeldern Nordfrankreichs unsere Geschicke. Ende Sep-
tember gab die Heeresleitung, nachdem sie noch bis dahin immer
wieder zum Glauben an den Sieg aufgerufen und den Sieg selbst
als sicher hingestellt hatte, das Spiel verloren, erklärte plötzlich,
daß die Front gegen feindliche Durchbrüche nicht mehr zu halten
18 — vor allem über die mit dem Kriegszustand verbundenen Militär-
diktatur, über zahlreiche Mißgriffe und Mißerfolge der Kriegswirtschaft,
dann namentlich auch über das Scheitern versprochener Reformen, wie der
preußischen Wahlreform.