Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

III. Die Anfänge des neuen Staatsrechts. 1039 
hervorgegangen): 34, christliche Volkspartei (Zentrum): 88, deutsche 
Volkspartei (Nationalliberale): 23, deutsche demokratische Partei 
(bürgerliche Linke): 77, Mehrheitssozialdemokraten: 164, unab- 
hängige Sozialdemokraten: 24, Fraktionslose: 11. Das politisch 
Wesentliche an diesem Wahlergebnis war, daß der gemäßigte 
Sozialismus sehr stark, der radikale auffallend schwach vertreten 
war, und daß beide sozialistische Parteien zusammengenommen 
nicht über die Mehrheit in der Versammlung verfügten: 188 sozia- 
listische Abgeordnete gegenüber 233 Abgeordneten der bürger- 
lichen Parteien. 
11. Kurz vor den Wahlen zur NatVers wurde ein erster 
Entwurf der künftigen Reichsverfassung, ausgearbeitet im Reichs- 
amt des Innern unter persönlichster Leitung des Staatssekretärs 
Dr. Preuß, veröffentlicht. Er ist, wie dies durch die politische 
Lage vorgezeichnet war, selbstverständlich rein demokratisch, im 
übrigen aber, in scharfer Stellungnahme gegen gewisse, sich 
„föderalistisch® nennende, in Wahrheit partikularistische Strömungen, 
welche seit der Revolution überhandnahmen, ausgeprägt uni- 
tarisch angelegt. Die gesetzgeberische, namentlich aber auch 
die verwaltende Zuständigkeit des Reichs erstreckt sich nach ihm 
viel weiter als nach dem bisherigen Recht. Die den Einzelstaaten 
belassene Tätigkeit bezeichnet die dem Entwurf beigegebene Denk- 
schrift selbst als „höchstpotenzierte Selbstverwaltung“. Der Ent- 
wurf sieht — ohne in dieser Richtung von Reichswegen zwangs- 
weise eingreifen zu wollen — eine Nauordnung des partikularen 
Staatenbestandes vor, insbesondere die Zusammenlegung der 
kleinsten Einzelstaaten zu leistungsfähigeren Gebilden und die 
Zerlegung des für ein wirkliches Aufgehen in Deutschland zu 
großen Preußens in mehrere Staaten mittlerer Größe. Die Reichs- 
gewalt soll ausgeübt werden als gesetzgebende durch einen aus 
zwei Kammern, Staatenhaus und Volkshaus nach dem Vorbilde 
der Frankfurter Verfassung von 1849 2, zusammengesetzten Reichs- 
tag, als vollziehende durch ein als „Reichspräsident“ bezeichnetes, 
anmittelbar vom Volke auf 7 Jahre gewähltes Oberhaupt, welches 
die ihm übertragenen Befugnisse unter Mitwirkung verantwortlicher 
Minister nach den Grundsätzen der parlamentarischen Regierungs- 
form auübt®*, 
12. Die Nationalversammlung wurde vom Rate der Volks- 
beauftragten nach Weimar berufen und trat dort am 6. Februar 
1919 zusammen. Der von der Reichskonferenz der deutschen A.- 
und S.-Räte eingesetzte Zentralrat (s. o. 1038) sah hiermit seine 
3? ()ben $ 59 S. 175. 
#4 Literatur zu diesem Entwurf: Aufsätze von Friedberg, Anschütz, 
Apelt im Märzheft 1919 der DJZ; Thoma, Deutsche Verfassungsprobleme, 
Annalen f. soz. Politik u. Gesetzgebung 6 409 ff.; Binding, Die staatsrecht- 
liche Verwandlung des Deutschen Reichs 35 ff.; Meinecke, Bemerkungen 
zum Entwurf der RVerf., Februarhefte der „Deutschen Politik“; Gmelin, 
Warum ist der Reichsverfassungsentwurf für uns Süddeutsche unannehmbar?; 
Hübner, Was verlangt Deutschlands Zukunft von der neuen Reichsverfassung?
	        
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