Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

094 Erster Teil. Erstes Buch. $ 31. 
Reichsunmittelbaren undReichsmittelbaren entstanden. 
Erstere erkannten keinen Landesberrn über sich an, sondern waren 
lediglich Untertanen des Reiches; zu ihnen gehörten die Landes- 
herren, deren Familien und die Reichsritterschaft. Letztere standen 
zunächst unter der Regierung eines Landesherrn und erst durch 
dessen Vermittlung unter dem Reiche; aus ihnen setzte sich die 
große Masse des Volkes zusammen. 
[Die Landeshoheit ist entstanden, indem die deutschen Fürsten 
die ihnen übertragene Amtsgewalt in ihren erblichen Eigenbesitz 
brachten und mit diesem Besitz sonstigen Eigenbesitz an Gütern 
und Rechten verbanden. Die geschichtliche Grundlage der mo- 
dernen Staatsgewalt in Deutschland, ist sie von Hause aus eine 
solche Gewalt, überhaupt eine einheitliche Herrschergewalt nicht 
gewesen. Sie war vielmehr ursprünglich ein Aggregat einzelner, 
selbständiger Rechte, die, unter sich mannigfach verschieden, teils 
öffentlichrechtlich-hoheitlich, teils privatrechtlich geartet waren. 
Sie zeigte einen fragmentarischen Charakter, ihr Wesen war 
Stückwerk. Eine Einheit bildete sie nur in vermögensrechtlichem 
Sinne: sie erschien als Eigentum des betreffenden Landesherrn, 
mit dessen Tode sie sich jeweils in eine Hinterlassenschaft ver- 
wandelte, welche nach dem für unbewegliche Sachen geltenden 
Grundsätzen auf den Erben überging. Im normalen Bestande der 
Landeshoheitsrechte lassen sich zwei Hauptgruppen unterscheiden: 
1. die aus der Reichsgewalt herrührenden, durch Feudalisierung 
ursprünglich reichsamtlicher (gräflicher, markgräflicher) Funktionen 
entstandenen Befugnisse: Gerichtsbarkeit, Heerbann, Regalien; 
2. anderweite, ursprünglich nicht reichseigene Gerechtsame, wie 
grund-, schutz- und lehnsherrliche Rechte. Bemerkenswert ist, 
daß die Landeshoheit sich den verschiedenen Klassen der land- 
sässigen Bevölkerung gegenüber nach Art und Maß verschieden 
entfaltete. Für die auf seinen Gütern (Kammergütern, Domänen) 
seßbaften Bauern war der Landesherr Grundherr mit allen Be- 
fugnissen eines solchen, im Verhältnis zur Ritterschaft des Landes 
wesentlich nur Lehnsherr, ihr und den Städten gegenüber Gerichts- 
herr. Nur jene Bauern waren des Landesherrn eigentliche und 
unmittelbare Untertanen, während Prälaten, Adel und Städte 
wegen ihres viel loseren Abhängigkeitsverhältnisses nicht als Unter- 
tanen, sondern lediglich als „Zugewandte“ bezeichnet wurden. 
Es ist deutlich, daß diese „Zugewandten“ nichts anderes sind 
als die sozial und wirtschaftlich mächtigen, die herrschenden Klassen 
des Landes. Sie — die Ritterschaft, die durch ihre Prälaten re- 
räsentierten Klöster und anderen kirchlichen Institute, sowie die 
Städte — waren dem Landesherrn gegenüher allenthalben korporativ 
organisiert &äls „Landstände“a. Dieses Corpus der Landstände 
& Unger, Geschichte der deutschen Landstände, 2 Bde., Hannover 1844; 
K. Maurer, Artikel: „Landstände“, in Bluntschli und Braters Staatswörter- 
buch 6 251 ff. Mehr oder minder ausführlich beschäftigen sich mit den land- 
ständischen Einrichtungen fast alle Darstellungen der älteren Verfassungs-
	        
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