Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

Einleitung. $ 1. 7 
sei, also den Staat repräsentiere;, dann konnte man den Einzel- 
staaten nur noch den Charakter von Provinzen, also von Kom- 
munalverbänden zuerkennen®. Beide Auffassungen stehen 
aber mit den tatsächlichen Zuständen nicht in Einklang. In den 
genannten bundesstaatlichen Verhältnissen besteht zweifellos eine 
Herrschaft des Bundes über die Einzelstaaten. Anderseits haben 
diese Staaten doch wieder vielfache Eigenschaften, welche ihnen 
mit den souveränen Staaten gemeinsam sind, und es existieren 
tiefgreifende Unterschiede zwischen den Einzelstaaten in einem 
Bundesstaate und den Kommunalverbänden eines Einheitsstaates. 
Die Souveränetät ist demnach kein wesentlicher Be- 
standteil des Staatsbegriffes, es gibt souveräne und nicht 
souveräne Staaten®. Wird aber die Souveränetät nicht mehr 
als das maßgebende Unterscheidungsmoment zwischen dem Staate 
und den ihm untergeordneten politischen Gemeinwesen anerkannt, 
so kommt es darauf an, ein anderweites Unterscheidungsmerkmal 
festzustellen, durch welches die Grenze zwischen Staat und Kom- 
munalverbänden gezogen werden kann. 
5. Der Unterschied von Staat und Kommunal- 
verbänden beruht auf der verschiedenen Rechtsstellung beider 
Arten von Gemeinwesen, ist also ein juristischer, nicht bloß ein 
historisch-politischer 1°. Über das Wesen desselben bestehen aber 
große Meinungsverschiedenheiten. Von einer Seite wird behauptet!!, 
die charakteristische Eigentümlichkeit der Staaten sei der Besitz 
von Herrschaftsrechtenb. Aber Herrschaftsrechte können auch den 
8 Zorn, St.R. 1 84; 142 N. 8 und Z.StaatsW. 87 314; Borel, Etude sur 
la souverainet& de l’Etat federatif (1886) 75 ff.. 103; Le Fur, Etat federal et 
conied ration d’Etats (1896) 397 ff.; v. Treitschke, Politik 40; Bansi, Ann.D.R. 
(1898) 682. 
® Die Ansicht, daß die Souveränetät kein wesentliches Element des 
Staatsbegriffes sei, ist schon von R,. v. Mohl, Enzyklopädie der Staatswissen- 
schaften ($ 13) 86 aufgestellt worden, aber ohne daß daraus weitere Kon- 
sequenzen gezogen sind. Sie ist näher ausgeführt und begründet worden 
von G. Meyer, Staatsrechtliche Erörterungen 3 ff. und hat in neuerer Zeit 
immer mehr Anhänger gewonnen. Sie wird namentlich geteilt von Laband, 
St.R. 1 58, Kl.A. 15 ff.; H. Schulze, Lehrbuch (8 16) 26; Jellinek, Staaten- 
verbindungen 36 ff.; in der Heidelberger Festgabe 265; Staatslehre 486 ff.; 
Brie, GrünhutsZ. 11 94, Theorie der Staatenverbindungen 9ff.; Rosin, 
Ann.D.R. (1883) 273 f£.; Mejer, Einleitung 24; Ullmann, Völkerrecht (1908) 89; 
B. Schmidt. Der Staat (1896) 51; Rosenberg, Die staatsrechtliche Stellun 
von Elsaß-Lothringen 32; Rehm, Staatsl. 21 ff., 116 ff.; Anschütz, Enzykf 
470, 471. Die Behauptung, daß mit dem Aufgeben des Merkmals der 
Souveränetät jeder Unterschied zwischen Staat und Gemeinde verloren gehe 
(Seydel, Ann.D.R. [1876] 654 und Vorträge 76), ist, wie die nachfolgenden 
Erörterungen ergeben, unzutreffend. 
10 Dies behauptet Affolter, Allgemeines Staatsrecht 59 ff. 
995 „band, StR. 165; KLA.1Tff, Lingg, Empirische Untersuchungen 
' b Dieser Satz gibt Labands Auffassung nicht richtig wieder. Schon in 
der 1. Aufl. des Labandschen Staatsrechts (1 106) ist der Unterschied zwischen 
Staat und Kommunalverband darin gefunden worden, „daß die Staaten eine 
öffentlich-rechtliche Herrschaft kraft eigenen Rechts haben, nicht durch 
Übertragung, nicht als Organe, deren sich eine höhere Macht zur Erfüllung
	        
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