Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

192 Erster Teil. Viertes Buch. $ 64. 
vorlage festgestellt wurde®d. Die Vertretung der Vorlage gegen- 
über dem Reichstage und das Recht der Berufung, Eröffnung,.. 
Schließung und Auflösung desselben war in der ersten Sitzung 
der Krone Preußen übertragen worden. 
Am 12. Februar 1867 fanden in den einzelnen Staaten auf 
Grund der in denselben nach Maßgabe des Augustbündnisses 
(oben S. 187) erlassenen Gesetze die Wahlen zum Reichstage 
des Norddeutschen Bundes statt. Da die Landtage sich vor- 
behalten hatten, daß das Resultat der Verhandlungen ihnen zur: 
endgültigen Beschlußnahme vorgelegt werde, so hatte der Reichs- 
tag nicht den Charakter einer verfassungvereinbarenden, sondern: 
den einer verfassungberatenden Versammlung’. Er wurde am 
24. Februar in Berlin förmlich eröffnet®, In der Sitzung am 
4. März 1867 brachte der Vorsitzende der Bundeskommissarien,. 
gewalt über die vom Bunde zu unterbaltende Kriegsmarine zu. Die recht- 
liche Natur aller dieser preußischen (Gsewalten außerhalb des Bundesrates- 
(aus denen in der Folge das Kaisertum hervorgegangen ist) war die einer 
echten — rechtlichen, nicht nur faktischen — Hegemonie; es waren Ge- 
walten nicht des Bundes über seine Glieder, sondern Preußens über seine 
Mitverbündeten. Weder das Bundesfeldherrnamt noch das Bundespräsidium- 
des Entwurfs vom 15. Dezember war eine Bundesorganschaft, beide er- 
schienen vielmehr als Ausflüsse einer Herrschaft Preußens über den Bund.. 
In den Sphären der auswärtigen Politik, des Kriegswesens, des Post- und 
Telegraphenwesens sollte der Bund schlechterdings nichts anderes sein als 
„ein verlängertes Preußen“ (Ausdruck Kaiser Wilhelms I., erwähnt bei 
v. Treitschke, Politik 2 345), sollte der König von Preußen nicht als Organ 
der Bundesgewalt, sondern als solcher, nicht durch Bundesbehörden, 
sondern durch seine preußischen Minister des Auswärtigen, des Krieges, der 
Marine, des Handels, Norddeutschland vertreten, regieren und verwalten. — 
Zu dem Vorstehenden vgl. Haenel, Studien 2 9 ff.; Anschütz, Enzykl. 55 ff.; 
Triepel, Unitarismus und Föderalismus im Deutschen Reiche (1907) 34 ff. ; 
Rosenthal, Die Reichsregierung (1911) 5 ff. 
6 v.Sybel 625ff. Protokolle bei Hahn a. a, O. 486 ff, und Glaser, Archiv 
des Nordd, Bundes 8 1 ft. 
d Diese von den Vertretern der verbündeten Regierungen durchberatene 
Vorlage ist in synoptischer Zusammenstellung mit dem preußischen Entwurf 
abgedruckt (als „Entwurf III“) bei Binding, Größere Ausgabe der Reichs- 
verfassung, 6. A. 8lff. Sie weist gegenüber dem Entwurf vom 15. Dezember 
ziemlich zahlreiche Anderungen auf, von denen aber keine eigentlich prinzi- 
pielle oder gar grundstürzende Bedeutung bat. Insbesondere ist die hege- 
monische Struktur des Entwurfs (oben Anm. c) im ganzen unverändert ge- 
ieben. 
? Die meisten Wahlgesetze sprechen sich über die rechtliche Stellung 
des Reichstages in diesem Sinne aus. So insbesondere das preußische 
WahlG. v. 15. Okt. 1866 (Preuß. G.S. 623); vgl. Haenel, Staater. 1 26, 27; 
Anschütz, Enzykl. 56. Jedenfalls haben alle Regierungen die bloß ver-. 
fassungberatende Funktion des Reichstages dadurch anerkannt, daß sie das 
Ergebnis seiner Beschlüsse den Landtagen zur Genehmigung unterbreiteten. 
Dasselbe ist in den Freien Städten hinsichtlich der Bürgerschaften geschehen, 
Nur in Braunschweig war die Genchmigung zur einseitigen Verkündigung 
der Bundesverfassung durch die Regierung schon früher vom Landtage er-. 
teilt worden. 
® Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages- 
des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867 1 1.
	        
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