Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

194 Erster Teil. Viertes Buch. $ 64. 
durch die. Verfassung näher bestimmten neuen Staat, genannt 
„Norddeutscher Bund“, gründe und ihm beitrete. Die Zustimmung 
der Landtage war also, wie die des Reichstags, nur ein Schritt 
weiter auf dem Bundesgründungswege, nicht der letzte, nicht der 
entscheidende. 
Der entscheidende Schritt liegt in der Gesamtheit der Kund- 
gebungen, vermittelst deren in den Tagen vom 21. bis 27. Juni 
1867 die Bundesverfassung in jedem der 22 Bundesstaaten von 
der Regierung publiziert wurde!®, mit der gleichlautenden Er- 
klärung, daß die Verfassung am 1. Juli 1867 in Kraft treten werde. 
In diesen 22 Publikationspatenten liegt der rechtliche Schwerpunkt 
des ganzen Gründungsverlaufs. Sie sind, obzwar nicht, wie es 
formale Korrektheit erfordert hätte, in eine Urkunde zusammen- 
gefaßt, doch materiell als eine einheitliche, von den Bundes- 
gründern, den durch ihre Regierungen vertretenen 22 Staaten, 
mit gesamtem Munde abgegebene Willenserklärung 
aufzufassen und bilden, so aufgefaßt, die bundesgründende 
Tat. Was vor ihr liegt (Einigung der Regierungen unter sich 
über die Verfassung, Zustimmung des Reichstags, Zustimmung der 
Landtage), ist nur Vorbereitung; was nachher sich ereignet — so 
vor allem das Publikandum vom 26. Juli 1867, in dem der König 
von Preußen unter nochmaliger Verkündung der Bundesverfassung 
die ihm durch letztere übertragenen Rechte und Pflichten für sich 
und seine Nachfolger in der Krone übernahmf —, ist bereits 
Äußerung von Organen der neuen Bundesgewalt, setzt also das 
Dasein der letzteren als bestehend und damit den Bund als ge- 
gründet voraus®. 
Die bundesgründende war zugleich eine verfassunggebende 
Tat. Uno actu wurde der Norddeutsche Bund geschaffen und 
seine Verfassung in Kraft gesetztb. Der Bund hat sich seine 
Verfassung nicht selbst gegeben, sie ist ihm vielmehr von seinen 
Gründern, den Staaten, mit auf den Lebensweg gegeben worden. 
Dieser Lebensweg begann am 1. Juli 1867; von diesem Tage 
datiert das Dasein des Norddeutschen Bundes. Und mit diesem 
Tage erlosch zugleich, selbstgewollt, die vertragsmäßige Grundlage 
des Bundes, das Augustbündnisi. Der Vertrag war erfüllt und 
endigte damit. Die Bundesverfassung, bis dahin ein Stück des 
18 Diese Publikationspatente bei Glaser, Archiv 4 117 ff. — Mejer, Ein- 
leitung 301 ff. behauptet, der Inhalt der Publikationspatente sei für Preußen 
ein anderer gewesen als für die übrigen Staaten. Jenes habe dadurch eine 
partielle Ausdehnung seiner Staatsgewalt über außerpreußisches Gebiet, diese 
eine partielle Unterordnung unter die preußische Staatsgewalt ausgesprochen. 
Dies ist unrichtig. Die Bundesverfassung enthält keine Ausdehnung der 
preußischen Staatsgewalt, sondern regelt die Organisation eines neu be- 
gründeten Gemeinwesens. 
f BGBl, 1867 1. 
g8g A. M. Haenel; vgl. unten S. 196, 
h A. M. Zorn; vgl. unten S. 199 u. 200. 
i Art. 6 des Bündnisses (Binding a. a. O. 79).
	        
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