Die Gründung des Deutschen Reiches.. $ 64. 197
soll durch das Publikandum vom 26. Juli 1867 (oben S. 194) erfolgt sein,
welches in einem Tenor die Bundesverfassung unter Rückdatierung ihrer
Gesetzeskraft auf den 1. Juli und die Ergreifung der Präsidialgewalt seitens
des Königs verkündete. Haenel nimmt demnach an, daß die ihrem Ent-
stehungsgrunde nach auf einem völkerrechtlichen Vertrage beruhende Ver-
fassung durch das Publikandum zu einem Bundesgesetze geworden und daß
das Publikandum vom 26. Juli die eigentliche bundesgründende und ver-
fassunggehende Tat sei (Vertragsmäßige Elemente 79, Staatsr. 1 32, 33).
Diese Auffassung ist aber nicht zutreffend. Der Norddeutsche Bund bestand
rechtlich vom 1. Juli 1867 an auf Grund des Bundesvertrages, und die
vertragsmäßig vereinbarte Verfassung besaß von diesem Augenblicke auf
Grund ihrer eigenen Festsetzungen die Kraft und Wirksamkeit eines Bundes-
gesetzes. Damit der Bund tatsächlich in das Leben trat, war allerdings
notwendig, daß die in der Verfassung desselben bestellten Organe die ihnen
übertragenen Funktionen auch wirklich ausübten. Insbesondere war der
König von Preußen als Bundespräsidium berufen, die Organisation des
Bundes in Wirksamkeit zu setzen, da ohne sein Zutun weder Bundesrat
noch Reichstag zusammentreten, noch auch der Bundeskanzler oder sonstige
Bundesbeamte bestellt werden konnten. Dazu bedurfte es aber keiner be-
sonderen Verkündigung über die Übernahme der Präsidialrechte, sondern es
genügte die tatsächliche Ausübung derselben. Deshalb ist dem Publikandum
vom 26. Juli 1867 eine irgendwie geartete rechtliche Wirksamkeit nicht bei-
zumessen. Namentlich bieten Inhalt und Wortlaut desselben keinen Anhalt
für die Auffassung, daß der Verfassung dadurch die Kraft eines Bundes-
esetzes beigelegt sei. In bezug auf die Bundesverfassung verhält sich der
önig von Preußen in dem Publikandum lediglich referierend. Es heißt
daselbst: „Nachdem die Verfassung des Norddeutschen Bundes von Uns,
Sr. Majestät dem Könige von Sachsen etc. mit dem zu diesem Zwecke be-
rufenen Reichstage vereinbart worden, ist dieselbe in dem ganzen Umfange
des norddeutschen Bundesgebietes, wie folgt, — — —, unter dem 25. Juni d. J.
verkündet worden und hat am 1. Juli d. J. die Gesetzeskraft er-
langt.“ Dann wird fortgefahren: „Indem Wir dies biermit zur öffentlichen
Kenntnis bringen, übernehmen Wir die Uns durch die Verfassung des Nord-
deutschen Bundes übertragenen Rechte, Befugnisse und Pflichten für Uns
und Unsere Nachfolger in der Krone Preußen.“ Der König konstatiert also
lediglich die Tatsache, daß die Verfassung in Kraft getreten ist. Die
Erklärung, daß er dies zur öffentlichen Kenntnis bringe, kann un-
möglich als eine Verkündigung der Verfassung im staatsrechtlichen Sinne
angesehen werden, Dagegen enthält das Publikandum allerdings eine Er-
klärung über die Übernahme der Präsidialrechte seitens der Krone Preußens.
Aber auch diese Erklärung ist rechtlich bedeutungslos. Denn tatsächlich
war die Übernahme der Präsidialrechte schon früher erfolgt. In Ausübung
derselben hatte der König von Preußen bereits am 8. Juli einen Vertra
nit den süddeutschen Staaten (den Zollvereinsvertrag, unten S. 204) durc
Bevollmächtigte vereinbaren lassen und am 14. Juli den Bundeskanzler er-
nannt. Gegen Haenel: Laband, Staater. 1 28, 80, Kl. A. 9; Zorn, Staater.
1 37 ff.; Seydel, Kommentar 17fl.; Anschütz, Enzykl. 58. Die Ansicht
Haenels wird (mit gewissen Modifikationen im einzelnen, auf die hier nicht
eingegangen werden kann) geteilt u. a. von Le Fur, L’£tat federal 112 ff.,
581 ff. (deutsche Ausgabe von Posener 1 127 ff); Posener, Verfass. d. Deutschen
Reichs (1903) 16; Pohl, Entstehung des belgischen Staates 50 („durch das
Tätigwerden König Wilhelms als eines staatlichen Willensträgers über dem
norddeutschen Volke trat der neue Staat als Macht in die Erscheinung“);
Derselbe, Arch.Öff.R. 20 184.
2. Die Theorie Bindings (Binding, Die Gründung des Nortl-
deutschen Bundes, Leipzig 1839). ieser Schriftsteller behauptet, an-
knüpfend an Gedanken, die vor ihm schon Thudichum, Verfassung des
Norddeutschen Bundes 51 und einigermaßen ähnlich auch Westerkamp,
BReichsverfassung 21, 28 ausgesprochen hatten, nach dem Augustbündnis
habe der Reichstag die Stellung einer vereinbarenden Versammlung be-