200 Erster Teil. Viertes Bucn. $ 64.
schweizerischen Bundesstaates (Basel 1898) 27 ff.; Anschütz, Enzykl. 13, 58, 59;
Gierke, Das Wesen der menschlichen Verbände (1902) 381; Binding a. a. O.;
Kuntze, Der Gesamtakt (1892) 80 ff.; Triepel, Unitarismus und Föderalismus
-im Deutschen Reiche (1907) 24 ff.
6. Die Theorie Zorns. — Auch Zorn (Staatsrecht des Deutschen
Reiches 1 30ff., 2.StaatsW. 87 318 ff., Reich und Reichsverfassung [Berlin
15 23 ff.) steht, wie bereits bemerkt, auf dem Boden der Anschauung, daß
die Entstehung eines neuen Staates ein juristisch unkonstruierbares Faktum
sei. Er lehrt: Der Norddeutsche Bund sei faktisch am 1. Juli 1867 ent-
standen und habe sich dann durch die von der Gesamtheit der Regierungen
oktroyierte Verfassung selbst konstitutionell beschränkt. Gegen diese An-
sicht spricht folgendes: Der Bund konnte ohne Verfassung nicht bestehen;
Bund und Verfassung sind daher in demselben Momente in das Leben ge-
treten. Auch die Annahme einer Oktroyierung der Verfassung durch die
Gesamtheit der Regierungen ist willkürlich und durch die Tatsachen in
keiner Weise gerechtfertigt. Vgl. auch Laband, Kl. A. 9, St.R. 1 34; An-
schütz, Enzykl. 59.
7. Der Anschauung, daß der Norddeutsche Bund durch Vertrag ent-
standen sei, wird häufig die Behauptung entgegengestellt, daß die Gründung
eines Staatswesens durch Vertrag überhaupt unmöglich sei (Jellinek a.a. O.
255 ff., Staatel. 267 ff., 737 fi.; Bornhak a. a. O. 340; Hudson a. a. O. 431, 482).
Dieser Einwand wird auch denen gegenüber aufrechterhalten, welche auf
die Bundesgründung nicht den Begriff „Vertrag“, sondern die Kategorien
„Vereinbarung“ oder „Gesamtakt“ anwenden. Zum Teil beruht der Ein-
wand auf der unrichtigen Voraussetzung, daß durch Verträge nur obliga-
torische Rechte und Verbindlichkeiten be ründet werden könnten. Aber
schon im Privatrecht gibt es andere als obligatorische Verträge (dingliche
Verträge, Eheverträge, Erbverträge), Auch im öffentlichen Recht können
durch Willensübereinstimmung mehrerer Subjekte andere als obligatorische
Rechtsverhältnisse begründet, insbesondere neue Gemeinwesen und Gewalt-
verhältnisse geschaffen werden. Wer, wie Jellinek, System 204 ff., es für
möglich erachtet, daß durch gegenseitige Willensübereinstimmung unab-
hängiger Staaten cbjektives Recht erzeugt wird, kann diesen Staaten doch
auch die Fähigkeit nicht absprechen, sich zu einem größeren Gemeinwesen
zu vereinigen und demselben eine Verfassung zu geben. (Erwiderung hierauf:
Jellinek, Staatsl. 778 Anm. 1.) Keinesfalls ist in der Annahme einer ver-
tragsmäßigen bzw. vereinbarungsmäßigen Entstehung des Norddeutschen
Bundes ein Rückfall in die naturrechtliche Anschauung vom Staatsvertrage
zu erblicken; auch kann aus derselben kein Recht der Sezession für die
Einzelstaaten abgeleitet werden. Dieses Recht steht ihnen deshalb nicht
zu, weil es mit der Eingliederung derselben in ein höheres (Gremeinwesen,
welche den Gegenstand des Vertrages bildete, unvereinbar ist. Vgl. auch
Haenel, Staatsr. a. a. O. 36 ff.
8. Die jetzt im Text vertretene unterscheidet sich von der Auffsssung
G. Meyers in den Voraufl. hauptsächlich darin, daß 1. die bundesgründende
Tat als Gesamtakt bzw. Vereinbarung bezeichnet wird, während G. Meyer
sie als Vertrag ansah und auch so nannte; 2. die Fortdauer eines ver-
tragsmäßigen Bandes zwischen den Staaten nach erfolgter Bundesgründun
verneint wird. Über die Meinungsverschiedenheit zu 2 vgl. oben $. 1941.
und unten $ 164. Die zu 1 ist allerdings (G. Meyer 6. A. 180) eine solche
der Terminologie, aber nicht nur eine solche. Ist (was G. Meyer freilich
nicht zugestehen will) die Kreation eines’ neuen Rechtssubjekts, die Er-
zeugung objektiver Rechtssätze durch übereinstimmende Willenserklärungen
Mehrerer dogmatisch etwas anderes als ein Vertrag, so darf dieses andere
auch nicht „Vertrag“ genannt werden. Die innerliche Verschiedenheit der
beiden Rechtsfiguren ist ja gar nicht zu verkennen: Der Vertrag bezweckt
die Begründung eines Bechtsverhältnisses; in den hier vorschwebenden
Fällen, insbes. bei der Gründung eines neuen staatlichen Gemeinwesens, ist
es nicht ein Rechtsverhältnis, sondern ein Rechtssubjekt, welches
geschaffen werden soll. Der Vertrag besteht aus Willenserklärungen ver-