Die Gründung des Deutschen Reiches. $ 64. 201
schiedenen Inhalts, während hier eine Mehrheit von Willenserklärungen
gleichen Inbalts abgegeben wird. Der Vertrag bezweckt eine Rechts-
wirkung zwischen den Beteiligten, hier dagegen handelt es sich um die
Erzielung einer Rechtswirkung außer und über den Beteiligten gel. die
nähere Ausführung dieser Unterscheidungen bei Binding a. a. OÖ. 69 ft.
Kuntze, Gesamtakt 27 ff., Triepel, Völkerrecht u. Landesrecht 35—103).
Wie aber soll dieses „Andere“, vom Vertrage spezifisch Verschiedene
heißen? Der Sprachgebrauch schwankt zwischen „Vereinbarung“ (Binding,
Triepel, Jellinek, Fleiner) und „Gesamtakt“ (Kuntze), Letzterer Ausdruc
ist wohl vorzuziehen. Denn „Vereinbarung“ paßt offenbar auf jeden Rechts-
akt, welcher eine übereinstimmende Willenserklärung Mehrerer enthält, ohne
Unterschied des Inhalts: also auch auf Verträge aller Art. „Verein-
barung“ ist oflenbar ein formaler, nur auf die äußere Gestalt eines Rechts-
akts sehender, weiterer Begriff, welcher sowohl den Vertrag als auch die
auf Kreation von Rechtssätzen oder Rechtssubjekten abzielenden mehr-
stimmigen Akte in sich schließt. Oder anders: jeder Vertrag ist eine Verein-
barung, aber nicht jede Vereinbarung ein Vertrag. Für die nichtvertrag-
lichen Vereinbarungen, insbesondere diejenigen, welche ein neues Rechts-
subjekt (Verein, Staat) ins Leben rufen wollen, erscheint der von Kuntze
vorgeschlagene Ausdruck Gesamtakt durchaus bezeichnend und brauchbar.
Die den Norddeutschen Bund gründende Rechtshandlung ist ihrer äußeren
Gestalt nach eine Vereinbarung mehrerer Staaten, inhaltlich ein konstitutiver
Gesamtakt, zu dessen Vornahme sich die Staaten durch Vertrag (das August-
bündnis) verpflichtet hatten. Sachlich übereinstimmend (mit Abweichungen
in der Terminologie): Kuntze a. a. O. 43ff.; Laband 1 30, 31; Gierke in
Schmollers). 7 1154; Derselbe, Das Wesen der menschlichen Verbände 31;
Anschütz, Enzykl. 59; Fleiner, Die Gründung des schweizerischen Bundes-
staates (1898) 36; Triepel, Völkerrecht u. Landesrecht 178 ff.; Derselbe, Uni-
tarismus u. Föderalismus 24.
Die Vereinbarungs- bzw. Gesamtaktstheorie steht keineswegs unbestritten
da. Sie wird insbesondere von solchen angefochten, welche die rechtliche
Konstruierbarkeit der Bundesgründung schlechthin verneinen: Pohl und
'Grosch in den oben S. 196 zit. Schriften. Die ihr zugrundeliegenden Begriffe
bekämpft Gleitsmann, Verw.Arch. 10 395 ff.
9. Sachlich nahe steht der hier vertretenen die Ansicht Loenings. Sie
‚geht dahin: „So ist der Norddeutsche Bund dadurch gegründet worden, daß
souveräne Staaten in einem Vertrage sich verpflichteten, eine neue souveräune
Gewalt zu organisieren, sich ihr zu unterwerfen und damit auf ihre Souve-
ränetät zu verzichten, und daß sie diesen vertragsmäßigen Pflichten nach-
kamen. Die Rechtsgültigkeit der Verfassung ist darin begründet, daß sie
ein Vertrag ist, aber ein Vertrag, der zugleich ein Unterwerfungsvertrag ist,
dessen Abänderung und Auflösung die vertragschließenden Staaten sich recht-
lich unmöglich gemacht haben“ (Grundzüge der Verfassung des Deutschen
Reichs, 2. A. 11906 ‚ 22). — Angenommen, daß mit dem „Vertrage“ in dem
ersten dieser beiden Sätze das Augustbündnis gemeint ist; mit der Maßgabe,
daß die eigentliche bundesgründende Tat — der Vollzug des Augustbünd-
nisses — keinen Vertrag, sondern einen Gesamtakt darstellt, und mit der
weiteren Maßgabe, daß die Bundesverfassung ihrer rechtlichen Natur nach
keinesfalls ein Vertrag, sondern ein Gesetz ist, kann ich den beiden Sätzen
zustimmen.
10. Gegen die Vereinbarungs- bzw. Gesamtaktstheorie, insbes. gegen
Anschütz, Enzykl. 59, ist noch eingewendet worden, daß es an einer ob-
jektiven Rechtsordnung, welche der auf Gründung eines neuen Staates ge-
richteten Vereinbarung bestehender Staaten die entsprechende Rechtswirkung
sichert, fehle. An einer solchen fehlt es aber keineswegs: diese Rechts-
ordanng ist das Völkerrecht. Übereinstimmend Haenel, Staatsr. 1 36, 37.
A. M. Jellinek, Staatsl. 778 N. 1; Pohl im Arch.Off.R. 20 182 ff.; Hatschek,
Allgem. Staatsr. 8 46, 47, auch wohl Otto Mayer in der Festgabe für Laband
(1908) 1 66, 67. Diesen Schriftstellern gegenüber muß daran festgehalten
werden, daß die Entstehung des Norddeutschen Bundes ein rechtlich voll-