Die Gründung des Deutschen Reiches. $ 67. 207
dem diesem Vorschlage von sämtlichen deutschen Fürsten und von
den Senaten der Freien Städte zugestimmt war, wurden im Ein-
verständnis zwischen dem norddeutschen Bundesrate und den Re-
gierungen der süddeutschen Staaten zwei Abänderungen der Ver-
assung festgestellt und von den betreffenden Volksvertretungen
genehmigt. Im Eingang der Verfassung erhielt der Bund, welcher
bis dahin „Deutscher Bund“ heißen sollte, die Bezeichnung
„Deutsches Reich“, und im Artikel 11 wurde dem Könige von
Preußen der Titel „Deutscher Kaiser“ beigelegt.
Die feierliche Annahme der deutschen Kaiserwürde erfolgte zu
Versailles am 18. Januar 1871'* und wurde dem deutschen Volke
durch eine Proklamation bekannt gemacht '!®,
Die Gründung des Deutschen Reiches und die Feststellung
seiner Verfassung ist demnach durch einen Gesamtakt des
Norddeutschen Bundes und der süddeutschen Staaten
erfolgt!*. Die Gründung des Deutschen Reiches charakterisiert
sich als Eintritt der süddeutschen Staaten in den Nord-
deutschen Bund. Das Deutsche Reich ist daher die Fort-
setzung des Norddeutschen Bundes und repräsentiert mit ihm das-
selbe Rechtssubjekt. Alle Rechte und Verbindlichkeiten des Nord-
deutschen Bundes sind auf das Deutsche Reich übergegangen !".
und Erinnerungen“ 2 117 ff., 1858 ff. Den äußeren Hergang der Entwicklun
der „Kaiserfrage“ erzählt am genauesten Busch a. a, 6. 185 ff., 128 ff., 152 ff.
Die erste amtliche Anregung zur Einführung des Kaisertitels scheint (am
2. September 1870) von der badischen Regierung ausgegangen zu sein; vgl.
oben Anm, 1.
14 Bericht des Königlich Preußischen Staatsanzeigers 1871 Nr. 23; Busch
a.8. 0. 148 ff., 157.
15 Königlich Preußischer Staatsanzeiger 1871 Nr. 19.
16 Übereinstimmend: Haenel, Vertragsmäßige Elemente 79 ff., Deutsches
Staatsr. 1 49 ff.; Brie, Theorie der Staatenverbindungen 131; v. Stengel in
Schmollers J. 22 1164. — Anderer Ansicht: Laband, St.R. 1 48f., Kl. A. 12,
welcher meint, durch die Versailler Verträge hätten die Kontrahenten nur
die Verpflichtung übernommen, das Reich zu gründen, die Gründung selbst
sei erst in Erfüllung dieser Verpflichtungen am 1. Januar 1871 erfolgt. Aber
die Novemberverträge sind keine bloßen Vorverträge, sondern haben die
Reichsverfassung zu ihrem unmittelbaren Gegenstande. Auch in bezug auf
das Deutsche Reich bleibt nach Labands Auffassung unklar, durch welchen
Akt die Gründung erfolgt ist und auf welchem Rechtsgrunde die Verbindlich-
keit seiner Verfassung beruht.
17 In dieser Beziehung stimmen weitaus die meisten Schriftsteller über-
ein: Haenel, Vertragsmäßige Elemente 82, Deutsches Staatsr. 1 51; Laband,
St.R. 1 44, Kl. A. 13; v. Rönne, Staatsrecht des Deutschen Reiches ($ 7) 57;
R. v. Mohl, Deutsches Reichsstaatsrecht 51; Auerbach, Das neue Deutsche
Reich und seine Verfassung 56 fl.; H. Schulze, Preußisches Staatsrecht $ 262,
Lehrbuch des deutschen Staatsrechtes ($ 76) 1 172; Jellinek, Lehre von den
Staatenverbindungen 275; Mejer, Einleitung 332; v. Kirchenheim, Lehrbuch
des deutschen Staatsrechts 76; Preuß, Gemeinde, Staat, Reich 401; Arndt,
Kommentar 21, 22 und Staatsr. des Deutschen Reichs 37; Le Fur, Etude
rur la souverainete 124ff.; Anschütz, Enzykl. 62. — Anderer Ansicht: Seydel,
Kommentar zur Einleitung Nr. X; E. Meier, Über den Abschluß von Staats-
verträgen (Leipzi 1874) 83 ; Zorn, Staatsrecht des Deutschen Reiches 1 58 ff.;
Rehm, Staatsl. 132. Zweifelhaft äußert sich Riedel, Reichsverfassungs-