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2. Quellen des deutschen Staatsrechts.
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Die Quellen des deutschen Staatsrechts zerfallen in gemeine
Quellen, d. h. solche, welche für ganz Deutschland, und in
partikuläre Quellen, d.h. solche, welche nur für einen Teil
von Deutschland Gültigkeit haben.
Die einzelnen Quellen sind folgende:
I. Gesetze.
Zu diesen gehören:
l. Gesetze aus älterer Zeit, nämlich Gesetze des alten
Deutschen Reiches, Grundverträge und Beschlüsse des ehemaligen
Deutschen Bundes. Die alten Reichsgesetze waren gemeines
Recht, weil sie von einer gesetzgebenden Gewalt ausgingen, welche
die Befugnis besaß, für ganz Deutschland unmittelbar verbindliche
Verfügungen zu erlassen. Durch die Auflösung des Deutschen
Reiches verloren sie ihre Gültigkeit nur insoweit, als das Objekt
ihrer Bestimmungen wegfiel, also soweit sie sich auf das Reich
selbst, insbesondere auf seine Verfassung (z. B. auf den Reichstag)
bezogen, [während sie im übrigen (z. B. soweit sie Rechtsverhält-
nisse innerhalb der Territorien regelten; man denke etwa an die
Bestimmungen der Goldenen Bulle über die Thronfolge in den
Kurfürstentümern, des Westf. Friedens über die Beschränkungen
des landesherrlichen ius reformandi) ihre Geltung auch nach Unter-
gang des Reiches behaupteten]. Bei der völligen Neugestaltung
der staatsrechtlichen Verhältnisse im Laufe des 19. Jahrhunderts
hat aber das alte Reichsrecht fast alle praktische Bedeutung ver-
loren. Die Verträge und Beschlüsse des Deutschen Bundes
sind ebenfalls hinfällig geworden, soweit sie den Bund selbst be-
trafen; dagegen sind diejenigen Bestimmungen, welche sich auf
die inneren Verhältnisse der Einzelstasten bezogen, durch die
Auflösung des Bundes nicht berührt worden. Diese sind aber
niemals gemeines Recht gewesen, weil der Bund eine unmittel-
bar gesetzgebende Gewalt für Deutschland nicht besaß. Sie
galten in den einzelnen deutschen Staaten kraft ihrer Publikation
von Landes wegen, also als Landesrecht!. Es hatten nur die
Regierungen der Staaten dem Bunde gegenüber die Verpflich-
tung, sie bei sich einzuführen bzw. aufrechtzuerhalten. Diese
entgegenzuhbalten, daß nach Völkerrecht die Gebietserwerbungen nicht bloß
Willenserklärungen, sondern tatsächliche Besitznahme cer-
fordern, daß also, solange letztere nicht erfolgt ist, von einer rechtlichen
Herrschaft nicht die Rede sein kann.
1 Übereinstimmend: H. A. Zachariä, Art. „Deutsches Staatsrecht“ im
Staatswörterbuch 2 741 N. 7; Held, Verfassungsrecht ($ 13) 1 24; Laband,
Staatsrecht 1 9, Kl. A. 3; Stobbe, Deutsches Privatrecht 1 71ff. — Für ge-
meines Recht erklären sie v. Gerber, Einleitung ($ 5) 9 N. 1; H. Schulze,
Einleitung $ 8 und Z. f. deutsch. Staatsr. (1867) 429 u. 430 N. *,