Einleitung. $ 3. 13
2. Der rechtliche Charakter des Staates!.
8 8.
Der Staat ist ein menschliches Gemeinwesen. Er faßt die
in ihm verbundenen Glieder zu einer höheren Einheit zusammen
und unterwirft sie seiner Herrschaft. Neben dem Staate bestehen
noch andere menschliche Gemeinwesen. Dieselben beruhen teils
auf natürlicher Abstammung, teils auf der Gemeinsamkeit be-
stimmter Zwecke und Anschauungen. Die ersteren (Familie, Ge-
schlecht) pflegen im Zustande höherer Kultur ihre rechtliche
Gliederung gänzlich zu verlieren und erscheinen vom Rechtsstand-
unkte dann nur als eine Gemeinschaft von Personen, welche
urch individuelle Rechte und Pflichten verbunden sind. Unter
den letzteren nehmen die Religionsgesellschaften, namentlich die
christlichen Kirchen, die hervorragendste Stelle ein, daneben gibt
es Vereinigungen zu wirtschaftlichen, geselligen, wissenschaftlichen,
künstlerischen und anderen Zwecken. Auch diese besitzen die
Möglichkeit, durch Beschlüsse und Statuten ihren Mitgliedern
Pflichten aufzuerlegen und so eine Herrschaft über sie auszuüben.
Aber das Moment der Beherrschung tritt bei ihnen mehr in den
Hintergrund, und sie kommen für das Recht vorzugsweise als
vermögensrechtliche Subjekte in Betracht, welche mit anderen
Rechtssubjekten in Verkehr treten. Ausgebildetere Herrschafts-
verhältnisse haben sich nur im Staate und in der Kirche ent-
wickelt?®.
Man hat den Staat vom natürlichen Standpunkte als Orga-
nismus bezeichnet (organische Staatstheorie)a. Diese Bezeichnung
ı H. Preuß, Die Persönlichkeit des Staates organisch und individua-
listisch betrachtet, Arch.ÖffentLR. 4 62 ff.; Derselbe über Organspersönlich-
keit, SchmollersJ. (1902) 103; Stellvertretung und Organschaft, IheringsJ. 2. F.
8 429; Jellinek, System 12 ff., Staatsl. 140, 174 ff.; Anschütz, Enzyklop. 7 ff.
2 Gegen die Zusammenfassung des Staates mit anderen menschlichen
Gemeinwesen erhebt Widerspruch v. Gerber, St.R. ($ 1) 2 N, 2u3 Er
nimmt das Wort und den Begriff „Herrschen“ als etwas dem Staate Spezi-
fisches in Anspruch und nur die Kirche will er ihm in dieser Bezie ung
gleichstellen. Wenn aber auch die Herrschaft des Staates ihrem Umfange
nach viel weitgehender, ihrem Inhalte nach viel intensiver ist als die eines
anderen menschlichen Gemeinwesens, so beschränkt sich die Verwirklichung
der Herrschaftsidee doch keineswegs bloß auf Staat und Kirche. In der
neueren Wissenschaft wird die Grleichartigkeit des Staates mit anderen
menschlichen Gemeinwesen namentlich anerkannt von Gierke an zahlreichen
Stellen seines Genossenschaftsrechtes, Z.StaatsW. 80 302, SchmollersJ. 7 1125
sowie von Preuß, SchmollerJ. (1902) 108 ff.; IheringsJ. 2. F. 8 429 ff.
a Gierke, Genoss.R. 8 549 ff.; derselbe, Z.StaatsW. 80 170 ff.; Jellinek,
Tenatal. 148 ff.; Wundt, System der Philosophie (2. A., 1897) 616 ff.; van Krieken,
er die sogenannte organische Staatstheorie (1873); Loening im Handwörterb.
der Staatswiss. 7 697 f.; Preuß in den in voriger N. zit. Schriften und in
seinem Buche Gemeinde, Staat, Reich als Gebietskörperschaften (1889);
Menzel im Handb. d. Politik 1 38 ff.; Erich Kaufmann, Über den Begriff des
Organismus in der Staatslehre des 19. Jahrhunderts (1908). Vgl. auch Walther,
Staatshaupt in den Republiken (1907) 40 ff.; Grosch im Arch.Öff.R. 25 407 ff.