Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

240 Zweiter Teil. Eıstes Buch. $ 74a. 
das Staatsgebiet für „unteilbar und unveräußerlich“ erklärt: bayr. 
VU. Tit. 8 1, bad. VU. 8 34, Soweit dieser Satz sich gegen 
den Landesherrn bzw. sein Haus richtet und diesen dynastischen 
Faktoren privatrechtliche Veräußerungen und Teilungen des 
Landes durch Verkaufs-, Tausch-, Erbverträge, Testamente usw. 
verbietet, enthält er eine Selbstverständlichkeit, eine heute über- 
flüssige Vorkehrung gegen Mißbräuche, welche nach dem Staats- 
recht der Gegenwart ohnehin unmöglich sind, weil ihnen der 
Boden, auf dem sie gedeihen konnten und gediehen, die privat- 
rechtliche (patrimoniale) Staatsauffassung, durch den Sieg des 
modernen Staatsgedankens entzogen ist®. Soweit aber jener Satz 
nicht sowohl dem Herrscher und der Dynastie als dem Staate 
selbst die Veräußerung und Teilung seines Gebietes, also über- 
haupt die Disposition über sein Gebiet untersagen will, hat er 
nicht dasjenige Maß verbindlicher Kraft, welches er zu haben 
scheint. Er macht nämlich Gebietsabtretungen durch staatshoheit- 
liche Akte weder faktisch noch rechtlich unmöglich, sondern be- 
sagt nur, daß jede „Veräußerung und Teilung“, also jede Ver- 
kleinerung des Staatsgebietes eine Verfassungsänderung erfordert, 
also nur in den Formen der verfassungändernden Landesgesetz- 
gebungf vorgenommen werden kann, während von Vergrößerungen 
des Staatsgebietes, Gebietserwerbungen (die ja weder unter den 
Begriff der „Veräußerung“ noch unter den der „Teilung“ fallen), 
weder an den angegebenen noch an sonstigen Stellen der mittel- 
staatlichen Verfassungsurkunden die Rede ist und sie somit, nach 
dem diese Verfassungen beherrschenden Prinzip® durch Akt des. 
Staatsoberhauptes ohne Gesetzesform, ohne Zustimmung des Land- 
tags bewirkt werden können. 
3. Was die Formen anlangt, in denen die Grenzen des. 
Reichsgebietes verändert werden können, so enthält hierüber 
die RV. keine ausdrückliche Vorschrift. Die Entscheidung der 
Frage ergibt sich aber aus RV. Art. 1. Wenn es dort heißt: 
„Das Bundesgebiet (Reichsgebiet) besteht aus den Staaten .. .“ 
(folgen die Namen der 25 Einzelstaaten), so wollte damit gesagt. 
sein: die Grenze des Reichs gegenüber dem Ausland wird gebildet 
durch die Auslandsgrenzen der Einzelstaaten in ihrem gegen- 
wärtigen (also zur Zeit des Inkrafttretens der RV., 1. Januar 
1871) bestehenden Zustande. Jede Änderung dieser Grenzen, sei 
es durch Erwerbung, sei es durch Abtretung von Reichsgebiet, 
involviert mithin ein Abänderung des Art. 1 und bedarf der Form 
des verfassungändernden Reichsgesetzesh, 
E IN l. v. Seydel, Bayr. St.R. 1 3936; Walz, Bad. St.R. 13; Anschütz, 
nzykl. 79. 
er Vgl. oben „al S. 93, unten $ 86 u. $ 9%. 
f Unten $ 157 a. E, 
8 Unten $ 84, 96. 
b Vgl. unten $ 164. Beispiele solcher Gesetze: RG., betreffend die 
Vereinigung von Elsaß und Lothringen mit dem Deutschen Reiche, vom
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.