Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

944 Zweiter Teil. Erstes Buch. $ 75. 
Der Staatsangehörige wird auch Staatsbürger oder Untertan 
genannt. Staatsbürger ist und heißt der Staatsangehörige als Subjekt 
von Rechten, Untertan als Träger von Pflichten gegenüber 
dem Staat. Staatsbürger im engeren Sinne sind diejenigen 
Personen, welchen innerhalb des Staates politische Rechte zustehen. 
Im Bundesstaate ist der einzelne einer doppelten 
Herrschaft: der des Bundes und der der Einzelstaaten, unter- 
worfen. Hier muß daher Bundesangehörigkeit und 
Staatsangehörigkeit unterschieden werden. Aber der 
Bund ist kein den Einzelstaaten koordiniertes Gemeinwesen, 
sondern er faßt diese zu einer höheren Einheit zusammen. Des- 
halb sind Bundesangehörigkeit und Staatsangehörigkeit nicht zwei 
verschiedene Eigenschaften derselben Person, die jede eines be- 
sonderen Erwerbes bedürfte, sondern eine einzige untrenn- 
bare Eigenschaft, welche nach zwei Seiten hin Wirkungen äußert *. 
Im ehemaligen Deutschen Reiche® war die Angehörigkeit zu 
den einzelnen Territorien, auf welcher für alle Reichsmittelbaren 
die Angehörigkeit zum Reiche beruhte, durch das Domizil bedingt. 
Seit der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts erfolgte der 
Erwerb der Territorialangehörigkeit lediglich durch ein obrigkeit- 
lich genehmigtes Domizil. Daneben entwickelten sich Geburt, 
Verheiratung, Anstellung als besondere Erwerbsgründe®. Erst im 
gegenwärtigen Jahrhundert ist Staatsangehörigkeit und Domizil 
schärfer voneinander getrennt und der Erwerb und Verlust der 
ersteren durch die Gesetze der einzelnen Staaten näher geregelt 
worden”. | 
 .® Anschütz, Enzykl. 8. Vgl. J. J. Rousseau, Contrat social 1, 6: 
„A l’egard des associes, ils prennent collectivement le nom de peuple, et 
s’appellent en particulier citoyens, comme participant & l’autorit€ souveraine, 
et sujets, comme soumis aux lois de l’Etat.“ 
3 Als ein besonderes Rechtsinstitut ist das Staatsbürgerrecht namentlich 
in der bayrischen Gesetzgebung ausgebildet worden, hat seine Bedeutung 
aber in neuerer Zeit im wesentlichen verloren. Poezl, Bayrisches Ver- 
fassungsrecht ($ 31) 94 ff.; Seydel-Piloty, Bayrisches Staatsrecht 1 175 ff. 
Außerdem besteht ein von der Staataangehörigkeit verschiedenes Bürger- 
recht auch noch in Hamburg (G. v. 2. Nov. 1896). 
% Dies setzt Laband, Staatsrecht ($ 14) 1 134 ff. richtig auseinander. 
Aber die Anerkennung der Identität von Bundes- und Staatsangehörigkeit 
ist nicht, wie er anzunehmen scheint, davon abhängig, daß man die direkte 
Unterordnung der Staatsangehörigen unter die Bundesgewalt leugnet, sondern 
uch mit der entgegengesetzten nschauung vollkommen vereinbar. Le Fur, 
Etat federal 692 ff. behanptet, daß im Bundesstaate nur eine Staatsangehörig- 
keit bestehe. Diese Bebauptung ist unzutreffend und erklärt sich dadurch, 
daß der Verfasser den Gliedern eines Bundesstaates die Eigenschaft von 
Staaten überbaupt abspricht. 
5 H. Rehm, Der Erwerb von Staats- und Gemeindeangehörigkeit in ge- 
schichtlicher Entwicklung, in Ann.D.R. (1892) 137 f£.; A. Groedel, Die Er- 
sitzung der Staatsangehörigkeit, Greifswald 1894. 
6 Dagegen hatte der Erwerb der (semeindeangehöfrigkeit die Begründung 
der Stastaangehörigkeit nicht zur Folge. Vgl. Rehm a. a. O0. 198 ff. 
? Rehm a, a. O. 231. Von den ikulären Gesetzen ist besonders 
wichtig das preußische Gesetz vom 31. Dezember 1842, das dem RG. vom
	        
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