Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

966 Zweiter Teil. Erstes Buch, Der Herrschaftsbereich. $ 831. 
die zur Durchführung seiner Aufgaben notwendigen Organe zu 
bestellen und deren Verhältnisse gesetzlich zu regeln *°, 
Gegenüber Elsaß-Lothringen und den Schutzgebieten 
sind die Beschränkungen der Kompetenz des Reiches ohne Be- 
deutung. Hier steht dem Reiche eine unbeschränkte Kompetenz zu. 
8 81. 
Die allgemeinen Grundsätze über die Kompetenz des Reiches 
erleiden mehrfache Modifikationen, indem einzelne Staaten auf ge- 
wissen Gebieten vonder Kompetenzdes Reicheseximiert 
worden sind. 
1. Die Gesetzgebung des Reiches über Heimats- und Nieder- 
lassungsverhältnisse erstreckt sich nicht auf Bayern. 
2. In bezug auf das Eisenbahnwesen sind die Rechte 
des Reiches Bayern gegenüber außerordentlich beschränkt. Nament- 
lich erstrecken sich die Aufsichtsbefugnisse des Reiches nicht auf 
die bayrischen Eisenbahnen®, 
3. Die Verwaltung des Post- und Telegraphenwesens 
ist in Bayern und Württemberg Landessache. Die Gesetzgebung 
des Reiches ist den beiden Staaten gegenüber auf folgende Gegen- 
stände beschränkt: die Vorrechte der Post und Telegraphie, die 
rechtlichen Verhältnisse beider Anstalten zum Publikum, die Porto- 
freiheiten und das Posttaxwesen ausschließlich der reglementari- 
schen und Tarifbestimmungen für den internen Verkehr und unter 
gleicher Beschränkung die Feststellung der Gebühren für die tele- 
graphische Korrespondenz. Auch steht ihnen die völkerrechtliche 
Regelung ihres eigenen unmittelbaren Verkehrs mit ihren dem 
4 Die früher in dieser Beziehung geäußerten Zweifel (vgl. Georg Meyer, 
Staatsrechtliche Erörterungen 38 N. 1) sind als aufgegeben anzusehen. Vgl. 
auch Anschütz, Enzykl. 149 zu 1. . 
1 Haenel, Staater. 1 807 ff.; Anschütz, Enzykl. 76 ff. 
® RV. Art. 4 N. 1. — Durch das Schlußprotokoll vom 23. November 
1870 N. 1 ist anerkannt worden, daß auf Grund dieser Bestimmung auch 
die Kompetenz der Reichsgesetzgebung über das Verehelichungswesen auf 
Bayern keine Anwendung findet, daß also namentlich das norddeutsche BG. 
vom 4. Mai 1868, die Aufhebung der polizeilichen Beschränkungen der Ehe- 
schließung betr., auf Bayern ohne dessen Zustimmung nicht ausgedehnt 
werden kann. [Nachdem die Gesetzgebung des Reiches über die „Nieder- 
lassungsverhältnisse“, d. h. das Freizügigkeitsgesetz vom 1. November 1867 
in Bayern sogleich nach seinem Eintritt in das Reich eingeführt worden 
war, lag der Schwerpunkt des im Art. 4 Nr. 1 bezeichneten Reservatrechts 
darin, daß die Gesetzgebungshoheit des Reiches sich bezüglich der „Heimats- 
verhältnisse“ i.e.S., d.h. des Armenwesens, auf Bayern nicht erstreckte, 
so daß Bayern seine einschlägigen Landesgesetze behielt und das Reichs- 
Besetz über den Unterstützungswohnsitz vom 6. Juni 1870/30. Mai 1908 in 
ayern nicht galt (vgl. Meyer-Dochow, Verw.-R. 88 24, 25). Neuerdings ist 
aber dieses Reichsgesetz unter Innehaltung der durch RV. Art. 78 Abs. 2 
vorgeschriebenen Form auch in Bayern eingeführt worden: RG. vom 80. Juni 
1913 (RGBl. 495). Dadurch hat die Exemtion des Art. 4 Nr. 1 ihre Be- 
deutung im wesentlichen verloren.) 
® RV. Art. 4 N. 8, Art. 4246.
	        
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