Die Organe. $ 84. 277
auch schon vor der Einführung der konstitutionellen Verfassungen
in den meisten deutschen Staaten üblich; sie hatte jedoch lediglich
den Zweck, die Authentizität der Unterschrift des Monarchen zu
beglaubigen %,. Seit dem Übergang zu konstitutionellen Formen
dient sie dazu, die Person festzustellen, welche für die betreffende
Regierungshandlung die Verantwortung trägt?°. Soweit nicht etwas
anderes bestimmt ist, genügt die Gegenzeichnung eines Ministers,
Jedoch liefert die Gegenzeichnung durch einen bestimmten Minister
nur einen Beweis für seine Mitwirkung, keinen Beweis gegen
die Mitwirkung der anderen Minister. [Das Erfordernis der
Kontrasignatur erstreckt sich ohne Ausnahme auf alled Regierungs-
akte, d. h. alle Akte des Monarchen, welche von ihm in Ausübung
der Staatsgewalt?! vorgenommen werden — sofern sie, was nicht
schlechthin notwendig ist, in schriftlicher Form ergehen. Auch
militärische Anordnungen sind von dem Erfordernis nicht aus-
genommen, einerlei ob sie dem Gebiete der Militärverwaltung®
oder dem des Oberbefehls (der Kommandogewalt) angehören f.
19 Näheres bei v. Frisch, Die Verantwortlichkeit der Monarchen und
höchsten Magistrate (Berlin 1904), 31 ff.
#0 Vgl. hierzu v. Marschall a. a. O. 551 ff. (nicht sowohl die Kontra-
signatur, sondern die durch sie unwiderleglich bezeugte Billigung des
Herrscheraktes erzeugt die Verantwortlichkeit des Ministers; zustimmend An-
schütz, Enzykl. 112). Die Minister sind berechtigt und verpflichtet, die
Gegenzeichnung abzulehnen, wenn sie mit dem betreffenden Akte nicht ein-
verstanden sind, und zwar nicht bloß, wie Bornhak, Preußisches Staatsrecht
1. Aufl. 2 53 behauptet, weil sie denselben für gesetzwidrig halten, sondern
auch aus politischen Gründen. [Bornhak hat diese Ansicht später geändert;
vgl. seine Allgem. Staatslehre (2. Aufl.) 46, Preuß. Staatsr. (2. Aufl.)1 Tas, 144.
d Dies wird besonders energisch betont von v. Marschall a. a. O. 498 ff.
21 Nicht kontrasignaturbedürftig sind also solche Akte, welche der
Monarch in seiner Eigenschaft als Chef seines Hauses oder als Herr seines
Hofes vornimmt, ebensowenig solche, die er als Träger des Kirchenregiments
(Summepiskopates) über die evangelische Landeskirche erläßt. Für die Be-
setzung kirchenregimentlicher Amter wird jedoch häufig die Kontrasignatur
des Kultusministers gefordert (Preuß. G., betr. die evangelische Kirchenver-
fassung in den älteren Provinzen der Monarchie, vom 3. Juni 1876 Art. 23);
vgl. Schoen, Evangel. Kirchenrecht in Preußen (Berlin, 1903) 1 238 ff. Es
erklärt sich dies daraus, daß jene Besetzungen (in Preußen) nicht als kirchen-
rechtliche, sondern als Staatsangelegenheit gilt: die Mitglieder der kirchen-
regimentlichen Behörden (Oberkirchenrat, Konsistorien) sind Staatsbeamte:
Anschütz, Komm. z. preuß. Verf. 1322ff. Eine weitergehende Mitwirkung des
Kultusministers besteht in denjenigen Staaten, wo eine strenge Abgrenzung
der kirchlichen und staatlichen Sphäre noch nicht stattgefunden hat. In
Bayern werden alle kirchenregimentlichen Akte des Königs vom Minister
gegengezeichnet (Seydel-Graßfmann Bayr. Staatsr. 2 526). Dies erklärt sich
aber aus der besonderen Stellung des önigs von Bayern zur evangelischen
Kirche. Er ist, weil Katholik, kein Glied derselben. Das Kirchenregiment
hat daher in Bayern nicht die in den protestantischen Territorien übliche
Ausbildung erfahren und mehr den Charakter eines staatlichen Aufsichts-
rechtes über die Kirche angenommen. — Vgl. v. Frisch a. a. O. 368, 369.
e Anordnungen der Militärverwaltung erklärt auch die Voraufl. (S. 249)
für kontrasignaturbedürftig.
f Akte der Kommandogewalt will die Voraufl, (S. 249) von dem Er-
fordernis der Kontrasignatur ausnehmen. An dieser (weit verbreiteten) Aneichıt