Die Organe. $ 86. 283
Eine Abänderung der in bezug auf die Thronfolge geltenden
Grundsätze erfordert, soweit dieselben durch die Verfassung fest-
gestellt sind, selbstverständlich einen Akt der Verfassungsgesetz-
gebung. [Da, wo sie lediglich auf den Hausgesetzen der fürst-
lichen Familie beruhen, ist zu unterscheiden, ob den betreffenden
hausgesetzlichen Bestimmungen durch die Verfassung die Kraft
von staats-, eventuell verfassungsgesetzlichen Vorschriften hat bei-
gelegt werden wollen, oder ob sie nach wie vor die Eigenschaft
autonomischer Normen des Hauses haben behalten sollen. Im
ersteren Falle können sie nur durch Staats- (Verfassungs-) Gesetz,
in dem andern selbstverständlich gleichfalls auf diesem Wege, aber
auch, soweit und solange derselbe nicht beschritten ist, durch Haus-
gesetz abgeändert werden. Soweit der hausgesetzliche Weg zu-
lässig, ist eine Mitwirkung der Volksvertretung (des Landtags)
nicht notwendig. Ein Zusammenwirken von Staats- und Haus-
gesetzgebung bei Änderungen des Thronfolgerechtes ist im allge-
meinen nicht, vielmehr nur da erforderlich, wo es ausdrücklich
durch die Verfassung vorgeschrieben ist ®,]
Nach der älteren Auffassung wurde eine Abänderung der über
die Sukzession bestehenden Grundsätze nur mit Zustimmung
aller Agnaten für zulässig erachtet, weil dadurch wohlerworbene
Rechte derselben berührt werden könnten. Für das heutige Staats-
recht hat dieser Grundsatz keine Geltung mehr, da die Rechte der
Agnaten keine Privatrechte sind und erworbene Rechte für die
Gesetzgebung keine Schranke bilden®, [Gewiß sind die Anwart-
2 [Die Voraufl. 254 hielt ein solches Zusammenwirken für grund-
sätzlich erforderlich; diese Ansicht wird geteilt von H. Schulze, Haus-
gesetzo 1 385, Fürstenrecht 1361 ; Schücking, Staat u. Agn. 42,43. Vgl. dagegen
ie Schlußanmerkungen zum Text dieses Paragraphen, unten S. 284, 287.] —
Viele der neueren Hausgesetze erwähnen im Eingange ausdrücklich die er-
folgte Zustimmung der Stände zu gewissen Bestimmungen derselben, z. B.
das Kön. Sächs., Kön. Württ. und Herz. S.-Kob.-Goth. ausgesetz. Andere
fordern für die Abänderung, derselben entweder allgemein oder in bezug auf
gewisse Gegenstände die Einwilligung der Stände, z. B. das S.-Kob.-Goth.
ausges. Art. 119, das Reuß j. L. V.erf.-G. vom 20. Juni 1856 $ 11. — Die
Braunschw. N. LO. $ 23 schließt die Mitwirkung der Stände bei Akten der
Hausgesetzgebung aus, bestimmt aber ausdrücklich, daß durch solche die
Bestimmungen des Landesgrundgesetzes nicht geändert werden dürfen.
8 Trotzdem wird er noch von einigen Schriftstellern festgehalten, z. B.
von H. A. Zachariä, St.R. ($ 53) 1 238 N. 2; Zöpfl, St.R. ($ 215) 1 590;
Grotefend, St.R. $ 377. Vgl. dage en R. v. Mohl, Württembergisches Staats-
recht 8 80; H. Schulze, Preußisches Staatsrecht $ 55, Lehrbuch des deut-
schen Staatsrechts ($ 91) 1 210; Seydel-Piloty, Bayrisches Staatsrecht 1 94;
v. Kirchenheim, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts 190; Bormhak, Preuß.
Staatsrecht 1 83f. und Ann.D.R, (1904) 62; Jellinek, System 148; Cosack in
Marquardsens Handb. 8; v. Stengel, ebenda 41; B. Schmidt, Ansprüche
außerdeutscher Staaten auf deutsches Reichsgebiet 30; Seidler, Studien zur
Geschichte und Dogmatik des österreichischen Staatsrechts 58; Wielandt in
Marquardsens Handb. 26; Adam, Thronfolgerecht der Kognaten 12; Pagen-
etecher, Die Thronfolge im Großh. Hessen 47; G. Meyer, Der Staat und die
erworbenen Rechte 39; Binding, Thronfolgerecht der Kognaten 37ff.; An-
echütz, Enzykl. 129, 180; Schwartz, Triepel, Schücking, Freund an den oben