286 Zweiter Teil. Zweites Buch. $ 86.
Kulisch, Arch.Off.R. 15 601ff.; Kutzer, KrV JSchr. 3. F. 7 123 ff.; Smend, Die
preußische Verfassungsurkunde im Vergleich mit der belgischen (Göttinger
reisschrift, 1904) 20, 21.
Die in Tendenz und Ergebnissen mit Arndt wesentlich übereinstimmen-
den Schriften Kekules v. Stradonitz’, Stoerks und Koblers sind anderwärts
mit hinreichender Kraft widerlegt worden: Kekule von v. Seydel, Staats-
rechtl. Abhandl. 194 ff., 203 ff., 206; Stoerk von Triepel, Der Streit um die
Thronfolge im Fürstentum Lippe (1908), 107ff.; Stoerk und Kohler von
Bornhak in Ann.D.R. (1904) 62, 63, 411 f. und im Arch.Öfl.R. 19 225, 226. —
Stoerk glaubte (Agnatische Thronfolge 6: in ähnlichen Anschauungen bewegt
sich Kobler, Arch.Off.R. 18 152 ff.) seiner Position eine besondere Verstärkung
durch den Hinweis darauf zu verleihen, daß das „Sukzessionsrecht der Agnaten
weit weniger ein individuell-subjektives Recht als ein Organisations-
rinzip des staatlichen Verbandes“ sei. Eben hieraus aber folgt nicht die
erneinung, sondern die Bejahung des Rechts der Staatsgesetzgebung zur
Abänderung dieses „Organisationsprinzipes“; denn, daß in der Staatsgewalt
vor allem die Fähigkeit und Befugnis zur Selbstorganisation (vgl. auch oben
818. 7—10) inbegriffen ist, würde wohl auch Stoerk nicht haben leugnen wollen,
und wenn die Staatslegislative das Recht zur Vornahme organisatorischer
Änderungen überhaupt hat, wird sie wohl auch die Kompetenz besitzen, dıe
der bestehenden Organisation zugrunde liegenden „Prinzipien“ zu ändern
(richtig Bornhak, Preuß. Staatsr. 1 172, 173. Wäre die gegenteilige, also
die Stoerk-Kohlersche Meinung richtig, so müßte sie auch, allgemein wie sie
aufgestellt ist, für die Vergangenheit gelten. Sie würde unweigerlich zu der
Folgerung führen, die Gültigkeit des großen Prinzipienwechsels, welcher in
der Einführung des konstitutionellen Systems liegt, von der Frage abhängig
zu machen, ob die absoluten Monarchen, welche ihren Staaten Verfassungen
aben, hierzu die Einwilligung der Agnaten des Hauses eingeholt haben.
Da letzteres, soweit ersichtlich, Dirgende geschehen ist®, wären nach Stoerk-
Kohler, worauf Bornhak in Ann.D.R, (1904) 62 sehr treffend hinweist, unsere
Verfassungsurkunden null und nichtig, „und der Verfassungsbruch Ernst
Augusts von Hannover, der einst das Rechtsbewußtsein in Deutschland auf
das schwerste verletzte, hätte durch die neueste Rechtsforechung eine
glänzende Rechtfertigung erfahren“. Und wie steht es mit der Beseitigung
jenes anderen großen „ÖOrganisationsprinzips“, der einzelstaatlichen
Souveränetät durch den Akt der Reichsgründung? Soweit be-
kannt, ist zu diesem Akt in jedem deutschen Staat die Zustimmung wohl
des Landtags, nicht aber des Hauses und seiner Agnaten erfordert und erteilt
worden. Der neueste Legitimismus hat also auch hier Gelegenheit, unter
dem Zeichen des fiat justitia, pereat mundus eine Nichtigkeitserklärung zu
erlassen.
Sorgfältiger als Arndt, Kekule, Stoerk usw. begründet Rehm, Mod.
Fürstenr. 7ff. die Lehre, daß das Thronfolgerecht der deutschen Einzel-
staaten der Abänderung durch einseitigen Akt der Staatslegislative entrückt
sei. Seine Hauptthesen lauten: 1. Das Recht am Throne nicht vom Staate
verliehen; 2. Das Recht vom Throne nicht durch den Staat entziehbar:
vgl. a. a. O. 7ff. 22 fl. — Die erste Behauptung ist nur historisch richtig,
& In Preußen ist es sicher nicht geschehen; weder 1848, beim Übergang
zum konstitutionellen System, noch früher, als es sich noch lediglich darum
handelte, eine „ständische“ Verfassung zu geben. Allerdings ist die Frage, ob
es zum Weiterausbau der von Friedrich Wilhelm IV. seit 1842 (vgl. Auschütz,
Komm. z. preuß. Verf. 22ff.) eingeführten ständischen Einrichtungen der
Zustimmung der Agnaten bedürfe, aufgeworfen worden, und zwar von dem
damaligen Prinzen von Preußen, nachmaligen Kaiser und König Wilhelm IL,
1845; sie wurde aber von König Friedrich Wilhelm IV. auf Grund gut-
achtlicher Außerungen von Savigny, Hefiter und Eichhorn rundweg ver-
neint (v. Treitschke, D. Gesch. 5 34, 273, 609; Marcks, Kaiser Wilhelm I,
60ff.; Rachfahl, Deutchland, König Fr. Wilh. IV. und die Märzrevolution 21).