Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

Die Organe, $ 86. 987 
juristisch nicht; damit fällt auch die zweite. Auf die erste ist mit der 
Gegenfrage zu antworten; welche Rechtsordnung ist es, auf welcher das 
subjektive „Recht am Thron“ beruhen soll? Die Fiktion eines außer- und 
überstaatlichen Rechts, welche R. freilich nicht scheut, wird sich doch nicht 
aufrechterhalten lassen. Von Völkerrecht kann hier nicht die Rede sein 
also müssen die Rechte der Thronanwärter im Staatsrecht wurzeln, und 
es fragt sich dann weiter, ob im Reichs- oder im Landesstaatsrecht, Unter 
dem alten Reich war das fürstliche Hausrecht und insbesondere die Thron- 
folge allerdings kein Gegenstand der Landesgesetzgebung; dies ergab sich 
daraus, daß das Haus als solches und seine Mitglieder der Landeshoheit 
nicht unterstellt, ihr vielmehr von Reichswegen entrückt, reichs- 
unmittelbar waren. Die Immunität der Agnatenrechte gegenüber der landes- 
herrlichen Gesetzgebungsgewalt beruhte also auf dem Reichsrecht und stand 
unter dem Schutz der Reichsgerichte. Seitdem haben sich nun aber die 
Zeiten gewandelt. Die Wirkungen des Untergangs des alten Reichs schätzt 
Rehm viel zu gering ein. Das Ereignis von 1 ließ die Dynastien und 
die Rechtsverhältnisse ihrer Mitglieder in die durch das Wort quod est in 
territorio, est de territorio bezeichnete Stellung hinabsinken: sie wurden 
durch den Fortfall der Reichsverfassung zu Untertanen des Landesherrn, 
fielen seiner gesetzgebenden Gewalt als Staatsoberhaupt anheim. Die 
Regelung der Rechtsverhältnisse des regierenden Hauses wurde in jedem 
deutschen Staate Landesangelegenheit, und Landesangelegenheit ist 
sie noch heute, da die von R, behauptete Gewährleistung der Agnatenrechte 
gegenüber der Landeagesetzgebung welche angeblich in Art. 57 EG. zum 
B. enthalten sein soll, in Wahrheit nicht vorhanden ist: vgl. N. 1 zu 
diesem Paragraph. R. selbst gesteht (104 ff.) zu, daß in der Zeit nach Unter- 
gang des Reichs das Thronfolgerecht einseitig durch „Staatsverordnungen‘“, 
. h. gesetzgeberische Akte der absoluten Kronen geregelt werden konnte 
und geregelt worden ist: was aber der Gesetzgeber des absoluten Staates 
konnte, kann der des konstitutionellen erst recht. Der nicht näher motivierte 
Hinweis auf einen „Wandel der Rechtsanschauungen“ (in den Kreisen der 
deutschen Fürsten?) genügt nicht, um die Tatsache zu entkräften, daß heute 
nicht minder wie schon vor hundert Jahren die Thronfolge als Landes- 
angelegenheit der Regelung durch die Landesgesetzgebung unterliegt, — 
wobei eine Frage für sich bleibt, inwieweit auf Grund der Landesgesetze, 
insbesondere der Verfassung, der Autonomie des regierenden Hauses 
Spielraum gelassen ist. — 
Mit den hier vorgetragenen Anschauungen stimmen überein u. a. Jellinek, 
Staatsl. 165 N. 1, System 146, 148 N. 5, Kampf des alten m. d, neuen Recht 
(Originalausgabe) 18, 28ff., Ausgewählte Schriften 1 415ff.; O. Mayer, 
Arch.Öff.R. 21 449; Bornhak an den oben $. 286 zit. Stellen; Schücking, Die 
Nichtigkeit der Thronansprüche des Grafen Alexander v. Welsburg in Ölden- 
burg (1905) 40 ff. 
II. G. Meyer hatte (Voraufl. 254) für die Staaten, deren Thronfolgerecht 
noch heute nicht auf Staats-, sondern auf Hausgesetz beruht, behauptet, daß 
Änderungen des Thronfolgerechts nur durch „ein Hausgesetz, welches der 
Zustimmung der gesetzgebenden Organe des Staates bedarf“, m. a. W. durch 
einen übereinstimmenden Akt von Haus- und Staatsgesetzgebung, erfolgen 
können. Er bestritt also selbst für diese Staaten die Kompetenz der Haus- 
autonomie zu einseitiger Regelung thronfolgerechtlicher Fragen. Schücking, 
Staat und Agnaten 42, 43, hatte sich dieser Ansicht angeschlossen, später 
aber (Die Nichtigkeit der Thronansprüche usw. 52 ff.), bestimmt durch meine 
Polemik gegen G. Meyer, Voraufl. 258 ff., seine Meinung geändert. 
Die Ansicht G. Meyers ist unrichtig. Es ist zu unterscheiden: 
1. In manchen Staaten ist das Thronfolgerecht unter vollständiger 
Wiedergabe seiner Satzungen in den Verfassungstext aufgenommen, so 
mit Verfassungsgesetzeskratt kodifiziert worden; so namentlich in Bayern und 
Württemberg. Hier ist die Materie nur Staatsrecht, d. h. formelles Ver- 
fassungsrecht; ihre Regelung bzw. Fortbildung steht allein der in den Formen
	        
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