18 Einleitung. $ 5.
Die Ausübung der staatlichen Rechte kann entweder einer ein-
zelnen physischen Person oder einer kollegialisch
organisierten Personenmehrheit übertragen sein. Die
Personen oder Personenmehrheiten, welche zu einer solchen Aus-
übung berufen sind, in deren Willen und Handlungen also der
Wille und die Handlungen des Staates zum Ausdruck gelangen,
heißen Organe des Staates?. Das Organ unterscheidet sich vom
Stellvertreter dadurch, daß es ein Glied des betreffenden
Gemeinwesens sein muß, während der Stellvertreter dem Ver-
tretenen als eine fremde Persönlichkeit gegenübersteht®.,
Jeder Staat besitzt zahlreiche Organe, welche sich im Ver-
hältnis der Über- und Unterordnung befinden. Die im Staate
herrschende höchste Macht wird als Staatsgewalt (im sub-
jektiven Sinne) bezeichnet; sie kommt in denjenigen Organen zum
Ausdruck, welche allen anderen übergeordnet sind und die obersten
Herrschaftsrechte im Staate ausüben. Aber die Fortdauer der
Staatsgewalt ist unabhängig von der Existenz der speziellen Organe,
in welchen sie sich verkörpert. Die einzelne physische Person,
welche die Staatsgewalt repräsentiert, kann wegfallen und durch
eine andere ersetzt werden. Die ganze Organisation kann eine
Umgestaltung erleiden, an die Stelle einer republikanischen Ver-
fassung kann eine monarchische, an die Stelle einer monarchischen
eine republikanische treten. Immer aber bleibt eine höchste
herrschende Macht im Staate bestehen *.
Die Austibung der obersten Herrschaftsrechte im Staate kann
entweder einem einzigen Organe übertragen sein, wie z. B. in
absoluten Monarchien dem Monarchen, in reinen Demokratien
der in der Volksversammlung vereinigten Gesamtheit der Bürger,
oder mehreren Organen, welche dazu in verfassungsmäßiger
Versuche man nur die Staatspersönlichkeit, überhaupt den Begriff des
Staates (1) bei Darstellungen des positiven Rechts eines Staates ver-
schwinden zu lassen; man wird sehen, daß es sehr gut geht.“ Diesen
Versuch wird Affolter wohl zuerst selbst vormachen müssen; ob es ihm
dabei „gut geht“, wird sich ja zeigen.]
® v. Gerber, Grundzüge 76, 77; Bernatzik, Arch.Öff.R. 5 230 ff.; Jellinek,
Staatslehre 540 ff.; Rehm, Staatsl. 179 ff.; Gierke, 2.StaatsW. 30 329 ff.; Kelsen,
Hauptprobleme 450 ff.
%® Das Vorhandensein eines begrifflichen Unterschiedes zwischen Organ-
schaft und Stellvertretung wird nicht von allen anerkannt, nicht z. B. von
Rehm, Staatsl, 180, Schloßmann in JheringsJ. 44 291 ff., O. Mayen, V.R. 2 395
N. 2, Kelsen, Hauptprobleme 693—709. Dagegen: Gierke, D. Privatrecht
1 472 Anm. 10 und besonders Preuß in seiner Polemik gegen Schloßmann,
Stellvertretung oder Organschaft in JheringsJ). 44 429 ff.
* Haenel, St.R. 1 99 ff. bemerkt, es gebe kein Organ schlechthin,
sondern nur Individuen, deren Beruf es sei, Organ zu sein. Allerdings
kann ein Organ ohne Individuen, in welchen es zur Erscheinung tritt, nicht
bestehen. Nichtsdestoweniger ist der Begriff des Organs in abstracto er-
forderlich, um die Fortdauer desselben auch beim Wechsel der einzelnen
Individuen zum Ausdruck zu bringen. Übrigens erkennt Haenel 1 100 selbst
an, daß derartige Abstraktionen für die Jurisprudenz notwendig sind. Vgl.
Jellinek, System 28.