Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

Die Organe, $ 87. 291 
Es bleibt jedoch auch für eine solche eventuelle Sukzession 
der Nebenlinien der Grundsatz der Unteilbarkeit des Landes in 
Geltung’, denn die Einheit und Unteilbarkeit des Staates ist Ver- 
fassungsinstitut, die Krone kann aber auch der „Nebenlinie“* nicht 
anders als in verfassungsmäßiger Gestalt anfallen, die Verfassung 
gilt nicht nur für das heute regierende Haus, sondern für jedes; 
jeder Thronerwerber muß den Staat „in und mit der Verfassung 
annehmen“, wie er bei dem Erwerb bestandb. 
Stehen die älteren Bestimmungen mit diesem in Widerspruch, 
so ist der Konflikt zwischen ihnen und dem neueren Recht, soweit 
erforderlich, durch ein Spezialgesetz zu beseitigen. [In der Regel 
wird ein solches Spezialgesetz nurdeklarative, nicht konstitutive 
Bedeutung haben,. d. h. im Wege authentischer Interpretation 
entscheiden, daß und inwieweit das „neuere Recht“, nämlich die 
Verfassung, die entgegenstehenden älteren Bestimmungen bricht.) 
Die neu eintretende Linie wird sofort der Primogeniturordnung 
unterworfen. 
Für den Fall, daß infolge einer derartigen Sukzession die 
Krone un den Herrscher eines anderen Staates gelangt, sind meist 
besondere Bestimmungen getroffen ®. 
Erbrecht muß aber auch jetzt noch als fortbestehend angesehen werden, 
soweit es nicht durch spätere Bestimmungen aufgehoben oder modifiziert 
worden ist, 
? v. Gerber, St.R. ($ 29) 90 und über die Unteilbarkeit deutscher Staats- 
gebiete H. A. Zachariä, St.R. (8 239) 2 5938 N. 2; H. Schulze, Lehrbuch des 
eutschen Staatsrechts ($ 100) 1 288. 
b Vgl. Arndt, Komm. z. preuß. Verfass. (7. Aufl.) 216; v. Rönne-Zorn, 
Preuß. Staatsr. 1 221. Daß der Regierungsnachfolger an die Regierungs- 
handlungen des Vorgängers gebunden ist, und die Verfassung daber auch 
für die neu auf den Thron des Landes gelangende Nebenlinie, ‚ohne einer 
Anerkennung seitens dieser Linie zu bedürfen, in Kraft bleibt, galt bisher 
als ein Axiom modernen Staatsrechts, nahezu als Gemeinplatz. Nun will 
aber Rehm, Mod. Fürstenr. 50 ff., 395, 396 die Staatsrechtswissenschaft auch 
an diesem Punkte restaurieren. Nach ihm könnte die Landesteilerei in 
mittelalterlicher Betriebsamkeit tagtäglich wieder losgehen, und zwar von 
Rechtswegen. Die verfasanngsmäßige Kestlegung des Unteilbarkeiteprinzips 
bedeutet höchstens „den Wunsch des Staates, die jüngeren Linien möchten 
auf Teilung des Gebiets verzichten und sich mit einer ermögensentschädi- 
ung begnügen“ (a. a. O. 395). Auch auf diese Konsequenz des Rehmschen 
Patrimonialismus bezieht sich, was oben, Anm. a, zu diesem Paragraphen, 
gesagt wurde. 
8 Diese gehen in der Regel darauf hinaus, die Vereinigung des be- 
treffenden Staates mit dem fremden Staate zu verhindern. Es wird daher 
entweder Verzicht auf die fremde Krone gefordert oder die Beibehaltung 
der fremden Krone von der Einwilligung der Volksvertretung abhängig ge- 
macht (preuß. VU. Art. 55) oder an die Stelle der Primogenitur für diesen 
speziellen Fall eine Sekundogenitur gesetzt, eventuell wenigstens die Be- 
stellung eines besonderen Statthalters vorgeschrieben. Bayr. Verf. Tit. II $ 6, 
Bad. Haus- und Familienstat. $ 8, S.-Mein. Verf.-G. vom 9. März 1896 Art. 8, 
S.-Kob.-Goth. StGG. $8 7—10, Hausges. Art. 7 u.18. Vgl. dazu die Verzicht- 
leistung des damaligen englischen Kronprinzen Albert Eduard vom 19. April 
1863, bekannt gemacht durch herzogl. Erlaß vom 10. Nov. 1868. 
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