Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

20 Einleitung. $ 5. 
und Reich, d. h. Kaiser und Reichsstände als Träger der Reichs- 
gewalt angesehen, in den freien Städten steht die Staatsgewalt 
Senat und Bürgerschaft, in England dem Parlamente, d. h. dem 
König in Verbindung mit den beiden Häusern zu. Wohl aber nötigen 
uns die Bestimmungen einer Reihe von Verfassungen, den besonderen 
Begriff des Trägers der Staatsgewalt aufzustellen, weil der recht- 
liche Inhaber der Hoheitsrechte und diejenigen Personen, welche 
mit der Ausübung derselben betraut sind, nicht zusammenfalleu. 
So gehen die modernen Repräsentativdemokratien häufig 
von der Anschauung aus, daß das Volkb Träger der Staatsgewalt 
sei, während als staatliche Organe der Präsident, das Regierungs- 
kollegium, die parlamentarischen Versammlungen erscheinen. Am 
deutlichsten tritt diese Auffassung in der Verfassung der Vereinigten 
Staaten hervor!®. Inkonstitutionell-monarchischen Ver- 
fassungen wird vielfach der Monarch als Träger der Staats- 
gewalt angesehen, so z. B. in der französischen Charte von 1814 
und den deutschen Verfassungen!!. Die Volksvertretung bildet 
ihm gegenüber dann nur ein beschränkendes Element. Die prak- 
tische Konsequenz dieser Auffassung ist die, daß der Monarch die 
Vermutung der Berechtigung für sich hat; ihm stehen alle Hoheits- 
rechte zu, welche ihm nicht ausdrücklich entzogen, der Volks- 
vertretung nur die, welche ihr ausdrücklich übertragen sind. 
Andere konstitutionell-monarchische Verfassungen gehen vom Stand- 
punkte der Volkssouveränetät aus; sie betrachten das Volk 
als Quelle und Ursprung aller Gewalten, von welchem auch der 
Monarch seine Befugnisse ableitet !*. In diesem Falle erscheint 
der Monarch zwar als Organ des Staates, aber nicht als Träger 
Gesetz und Verordnung 208, Staatsl. 550 ff. v. Hagens Staat, Recht u. 
Völkerrecht 11. 
® G. Meyer, Anteil der Reichsorgane 11 ff. 
b Unter „Volk“ darf hier nicht die Gesamtheit aller Staatsangehörigen 
verstanden werden, denn diese bildet, wie Walther, Staatshaupt in den Re- 
ubliken 59 richtig bemerkt, den Staat selbst, „kann also nicht Organ sein“. 
„Volk“ heißt hier vielmehr soviel wie Gesamtheit der politisch Berechtigten, 
Aktivbürgerschaft“ (Walther a. a. O. 59, 60). Unzutreffend ist es, wenn 
Geffeken, Gesamtinteresse 14, 15 und Verfassung des Deutschen Reiches 
(1901) 43, den republikanischen (pleonarchischen) Träger der Staatsgewalt 
— die Aktivbürgerschaft in der Demokratie, den herrschenden Stand in der 
Aristokratie, die verbündeten Regierungen im Deutschen Reich — für eine. 
juristische Person erklärt: eine engere Korporation innerhalb der 
weiteren Korporation „Staat“. Diese Träger sind nur Mehrheiten, in keinem 
juristischen Sinne Einheiten von Personen. Gegen Geffcken Jellinek, Staatsl. 
553 Anm. 1. Vgl. auch unten $ 120 Anm. 2. 
10 Verfassung, Einl. Amend, IX, X. Vgl. v. Holst, Staatsrecht der 
yereinigten Staaten, in Marquardsens H.B. d. öffentl. R. 23 ff, im Arch.Öf.R. 
1 Vgl. $$ 54, 83, 84. 
12 Diese Auffassung, kommt namentlich in solehen Ländern vor, in 
welchen einem ursprünglich republikanischen Magistrate erbliche Qualität 
beigelegt ist, wie Napoleon I. u. III, oder da, wo das erbliche Königtuın 
aus einer revolutionären Bewegung des Volkes hervorgegangen ist, wie im 
Königreich Belgien (Verf. vom 25. Februar 1831 Art. 55.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.