Die Organe. $-94. 321
gesetzte Disposition grundsätzlich ausgeschlossen war. Aus dem-
selben Grunde bildete sich das Prinzip der Unveräußerlichkeit
des Domänengutes, zum Teil unter dem Einfluß fremden, namentlich
des französischen Rechtes, aus. Zur Begründung und Feststellung
dieses Prinzips bediente man sich in Doktrin und Praxis häufig
des Mittels, dem Kammergut die Qualität eines Fideikommisses
der regierenden Familie beizulegen.
Erst wenn das Kammergut zur Bestreitung der Landes-
bedürfnisse nicht ausreichte, trat infolge der Bewilligung durch
die Landstände die Verpflichtung der Untertanen zur Bezahlung
von Steuern ein. Diese flossen in eine besondere, von den Ständen
verwaltete Kasse, die sogenannte Landkasse. Die Landkasse und
die mit den Mitteln derselben erworbenen Vermögensobjekte pflegte
man als Landesvermögen dem Kammervermögen entgegenzustellen.
Andrerseits unterschied man aber von demselben auch das reine
Privat- oder Schatullgut des Landesherrn.
Das Kammergut stammt aus einer Zeit, in welcher die publi-
zistische und privatrechtliche Persönlichkeit des Landesherrn
noch nicht geschieden war. Es enthält daher Elemente verschiedener
Art. Es kann nicht als reines Staatsgut betrachtet werden’, denn
ein wesentlicher Bestandteil, und zwar meist die Grundlage des-
selben, besteht aus Privatbesitzungen der regierenden Familie. Es
ist aber auch kein bloßes Privateigentum der letzteren ®, denn es
umfaßt eine Reihe von Vermögensobjekten, welche dem Landes-
herrn kraft öffentlichrechtlicher Titel zugeflossen sind. Auch in den
Territorien des deutschen Reiches wurden die Kammergüter nicht
als einfaches Privateigentum behandelt. Dies ergibt sich aus
der bereits damals üblichen Gegenüberstellung von Schatullgut-und
Kammergut, sowie aus der Zweckbestimmung und der Pertinenz-
qualität des letzteren.
Eine den Gesichtspunkten des heutigen Staatsrechtes ent-
sprechende Regelung der Rechte am Kammergute würde daher
nur durch eine Ausscheidung der einzelnen Vermögensbestandteile
° Den Standpunkt, daß das Kammergut im Eigentum des Staates stehe,
Mr namentlich Klüber, Öffentl. Recht des teutschen Bundes (1840)
u. 933,
° Das Privateigentum des regierenden Hauses an den Domänen ver-
treten H, A. Zachariä, St.R. ($ 208) 2 427 und in den N. 4 angeführten Schriften;
H. Zöpfl, St.R. ($ 485) 2 681 und in den N. 4 angeführten Abhandlungen.
Ihnen sehließt sich im wesentlichen an v. Gerber, Grundzüge (8 26) 81 N. 4,
der aber die Notwendigkeit konkreter Untersuchungen schärfer als sie her-
vorhebt. [Vgl. auch Anschütz, Enzyklop. 186, 137. Die gemeinrechtliche
Geltung des Satzes, daß das Kammergut als Pertinenz der Landeshoheit ein
1 \deikommißgnt des regierenden Hauses bildet, also im Privateigentum des
letzteren steht, wird sich, jedenfalls für die Zeit des alten Reichs, kaum
bestreiten lassen. Die Bad. Verf. von 1818 ($ 59) konnte sich für diese Auf-
fassung in der Tat und mit Recht auf „allgemein anerkannte Grundsätze
des Staats- und Fürstenrechts“ berufen. Inwieweit das moderne Staats-
recht sich von jenen Grundsätzen losgesagt hat, ist eine Frage für sich;
vgl. unten N. 10).
G. Meyer-Anschütz, Deutsches Staatsrecht. I. 7. Aufl. 21