Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

22 Einleitung. $ 6. 
heit zugeschrieben, eine Anschauung, auf welche Aussprüche des 
römischen Rechtes über die Machtfülle der römischen Imperatoren 
von wesentlichem Einfluß waren. In voller Ausbildung tritt uns 
diese Theorie gegen Iinde des Mittelalters bei Aeneas Sylvius 
entgegen ?®, 
Der moderne Souveränetätsbegriff hat sich aber nicht 
in Anlehnung an die dem römischen Kaiser zugeschriebene summa 
potestas, sondern aus den Verhältnissen entwickelt, welche infolge 
des Sinkens der kaiserlichen Macht und des Zerfalles des heiligen 
römischen Reiches eintraten. Er ist in Frankreich entstanden. 
Souverän (lateinisch „superanus“, italienisch „soverano“, fran- 
zösisch „sovrain“) bezeichnet ursprünglich nicht den Inhaber 
der höchsten Gewalt, sondern nur einen höher Stehenden 
(superior)&. Souveränetät wurde daher in Frankreich nicht bloß 
dem Königeb, sondern auch den Baronen zugeschrieben®; doch 
verstand man unter „sovrain“, wenn das Wort ohne weiteren Zu- 
satz gebraucht wurde, regelmäßig den König. Eine Unterordnung 
unter eine höhere Gewalt galt also ursprünglich als mit der 
Souveränetät nicht unvereinbar. Die Fortentwicklung des Sou- 
veränetätsbegriffes nach dieser Richtung vollzog erst Bodin. Er 
bezeichnet die Souveränetät als eine höchste Gewalt und leitet 
aus dieser Eigenschaft die Schrankenlosigkeit derselben ab. 
Souveränetät ist nach ihm eine höchste und durch Gesetze nicht 
gebundene Gewalt. Die Souveränetät steht aber nicht dem 
Staate, sondern dem Herrscher, also je nach der Staatsform, 
entweder dem Volke oder den bevorzugten Geschlechtern oder 
dem Könige, im damaligen Frankreich dem letzteren, zu. Die 
Begriffsformulierung Bodins ist ein theoretischer Ausdruck für 
die absolute Gewalt, welche die französischen Könige nach Besei- 
tigung der ständischen Rechte gewonnen hatten. Daraus erklärt 
sich auch der große Erfolg derselben in der Staatspraxis. Die Auf- 
fassung von der schrankenlosen Macht des Herrschers erhielt sich 
in der Staatswissenschaft, solange die absolute Monarchie die im 
kontinentalen Europa herrschende Staatsform war. Noch im Anfange 
des neunzehnten Jahrhunderts besaß sie eine große Verbreitung, und 
in Deutschland wurde der Souveränetätsbegriff namentlich von den 
Rheinbundfürsten in dem angegebenen Sinne verwendet. 
Gegenüber der Vorstellung von der absoluten Machtfülle des 
Monarchen gab die germanische Auffassung von den Rechten des 
®2 Rehm, Geschichte 200 ff. Jellinek, Staatsl. 442, 450. 
» Also kein Superlativ, sondern nur ein Komparativ! 
b Vgl. Jellinek, Staatsl. 444 f. mit näheren Nachweisen. 
° Vgl. Jellinek, System 77 N. 3 Rehm a. a. 0. 193 N. 2. Viollet, 
Histoire des institutions politiques et administratives de la France (Paris 1898) 
2 103. Jellinek, Staatsl. 447, 448 Anm. 5. („Cascuns barons est sovraing en 
sa baronnie“.) 
* Bodin, De re publ. I, 8: „Maiestas (in der französischen Ausgabe 
souverainete) est summa in cives legibusque soluta potestas“. Vgl. oben $ 1 
Anm. 6 nebst weiteren Nachweisen.
	        
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