330 Zweiter Teil. Zweites Buch. $ 96.
gebrachten Namen der Landstände oder des Landtages bei. Auch
in der Zusammensetzung glichen die neuen Landtage insofern den
alten, als ihrer Bildung ein ständisches Prinzip zugrunde gelegt
wurde. Erst durch die Gesetzgebung seit dem Jahre 1848 ist
dieses beseitigt worden.
Aber auch diejenigen Verfassungen, nach welchen die Zu-
sammensetzung des Landtages noch eine ständische war, sprachen
bereits den Grundsatz aus, daß die Landstagsmitglieder Vertreter
des gesamten Volkes seien*. Dadurch traten sie in Gegensatz zu
den alten Verfassungen, nach welchen die Abgeordneten als Ver-
treter einzelner Klassen und Stände erschienen. Dagegen hat die
Bezeichnung der Landtagsmitglieder als „Vertreter“ des Volkes
nicht die Bedeutung, daß sie ihre Rechte vom Volke ableiteten
oder von demselben Aufträge und Instruktionen entgegennehmen
müßten. Überhaupt waren bei Aufnahme der angeführten Be-
stimmungen in die Verfassungen mehr politische als staatsrecht-
liche Erwägungen maßgebend. Vom juristischen Standpunkte aus
sind die Landtage nicht eine Vertretung der Bevölkerung,
sondern ein aus Wahlen der Bevölkerung hervorgehendes Organ
des Staates®,
ı Vgl. $ 105. N. 2.
6 Vom rechtlichen Standpunkte können die parlamentarischen Versamm-
lungen nur als Staatsorgane behandelt werden. Das ist heute herrschende
Meinung. Vgl. darüber auch Jellinek, System 236 ff., welcher die Parlamente
speziell als Organe zur Verfolgung des Gemeininteresses bezeichnet. Diese
Charakterisierung, obwohl durchaus nicht unzutreffend, enthält aber doch
mehr die Hervorhebung eines politischen Prinzips als die Aufstellung eines
staatsrechtlichen Grundsatzes. Vgl. ferner Jellinek, Staatel. 545, 548 ff., 566 ff. ;
v. Seydel-Piloty, Bayr. Staatsr. 1 215 ff.; Anschütz, Enzykl. 138ff. — Ganz
abweichender Meinung ist Rieker, Die rechtliche Natur der modernen Volks-
vertretung, Leipzig 1893 (Sonderabdruck aus der Zeitschrift für Geschichte
und Literatur der Staatswissenschaften Bd. II, 1). Er behauptet, die Volks-
vertretung sei in monarchischen Staaten kein Organ des Staates (S. 40),
sondern ein fremder Bestandteil im Körper desselben (S. 45). Diese
Behauptung versucht er damit zu begründen, daß nicht der Wille der Volks-
vertretung als Wille des Staates gelte, sondern der des Monarchen; ins-
besondere auch das Gesetz auf dem Willen des Monarchen und nicht auf
dem der Volksvertretung beruhe. Nun ist es allerdings richtig, daß die Volks-
vertretung allein den im Gesetz zum Ausdruck gelangenden Staatswillen
nicht hervorbringen kann. Aber ebensowenig ist der Monarch dazu imstande.
Es wird dafür ein Zusammenwirken beider Faktoren erfordert. Die Volks-
vertretung ist also an der Willensbildung des Staates mitbeteiligt. ja ein
für dieselbe notwendiges Element; sie muß daher auch ebensogut wie der
Monarch als Organ des Stautes betrachtet werden. Wenn Rieker an einer
späteren Stelle seiner Schrift (a. a. O. 53) meint, die Volksvertretung sei
kraft gesetzlicher Fiktion das ganze Volk oder die Gesamtheit der
Untertanen, so ist das eine Charakterisierung, welche staatsrechtlich gar
keinen Wert hat, und selbst der der Ausführung zugrundeliegende politische
Gedanke wird durch die Bezeichnung der Parlamente als „V ertretung oder
Repräsentation“ des Volkes klarer und besser zum Ausdruck gebracht. Die
Charakterisierung der Volksvertreter endlich als sozialer Interessen-
vertretung (a. a. O. 57) ist juristisch ganz unzulässig, Tatsächlich
kann die Volksvertretung allerdings eine solche werden, aber rechtlich
darf sie es nicht. Die Abgeordneten sind nach der Verfassung verpflichtet,