Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

Die Organe. $ 98. 339 
Anmerkung: Die Bestimmungen der einzelnen Verfassungen über die 
Bildung der Ersten Kammern sin folgende: 
I. Für Preußen bestimmte die oktroyierte Verfassung vom 5. Dezember 
1848 Art, 63, daß die Mitglieder der ersten Kammer durch die Provinzial-, 
Bezirks- und Kreisvertreter erwählt werden sollten; weiterer Erwägung bei 
Gelegenheit der Revision der Verfassungsurkunde blieb vorbehalten, ob ein 
Teil der Mitglieder der ersten Kammer vom Könige zu ernennen und ob den 
Oberbürgermeistern der großen Städte sowie den Vertretern der Universitäten 
und Akademien der Wissenschaften und Künste ein Sitz in der Kammer 
einzuräumen sein möchte. Da jedoch die Provinzial-, Bezirks- und Kreisver- 
tretungen erst durch die künftige Gesetzgebung geschaffen werden mußten, 
die unmittelbar nach Erlaß der Verfassung erforderlichen Wahlen demnach 
nicht durch sie vorgenommen werden konnten, so wurde am 6. Dez. 1848 
ein interimistisches Wahlgesetz für die Erste Kammer erlassen. Danach 
sollte die Erste Kammer aus 180 Mitgliedern bestehen, welche in indirekter 
Wahl gewählt wurden. Die Teilnahme an den Urwahlen war bedingt durch 
die Vollendung des dreißigsten Lebensjahres und entweder die Zahlung 
eines Klassensteuersatzes von 8 Talern oder Besitz von Grundeigentum im 
Werte von 5000 Talern oder ein jährliches Reineinkommen von 500 Talern. 
Die Wählbarkeit stand jedem Preußen zu, der das vierzigste Lebensjahr 
vollendet hatte und bereits 5 Jahre lang dem preußischen Staatsverbande 
angehörte. Nach der oktr. Verfassuug war die Erste Kammer also, in d- 
gätzlicher Abweichung von allen damals vorhandenen deutschen Ersten 
Kammern, eine reine Wahlkammer (Vorbild: der Senat der belgischen 
Verf. v. 1831) ohne erbliche und ernannte Elemente. — Die rev. Verf. vom 
91. Jan. 1850 Art. 65—68 formierte demgegenüber die Erste Kammer als 
partielle Wahlkammer. Sie bestimmte, daß die Erste Kammer bestehen sollte: 
a) aus den großjährigen königlichen Prinzen; b) aus den Häuptern der ehe- 
mals unmittelbaren reichsständischen Häuser in Preußen und aus den Häuptern 
derjenigen Familien, welchen durch königliche Verordnung das nach der 
Erstgeburt und Linealerbfolge zu vererbende Recht auf Sitz und Stimme in 
der Ersten Kammer beigelegt werde; c) aus vom König auf Lebenszeit er- 
nannten Mitgliedern, deren Zahl jedoch den zehnten Teil der zu a und b 
genannten Mitglieder nicht übersteigen sollte; d) aus neunzig Mitgliedern, 
welche in Wahlbezirken, die ein Gesetz festzustellen hatte durch die dreißig- 
fache Zahl derjenigen Urwähler, welche die höchsten direkten Staatssteuern 
bezahlten, in direkter Wahl gewählt werden sollten; 2 aus dreißig von den 
Gemeinderäten der größeren Städte gewählten Mitgliedern. Die Gesamtzahl 
der unter a bis e genannten Mitglieder durfte die Zahl des unter d und e 
bezeichneten nicht übersteigen. Diese Bildung der Ersten Kammer sollte 
jedoch erst am 7. Aug. 1852 in das Leben treten und es bis dahin bei den 
estimmungen des interimistischen Wahlgesetzes sein Bewenden haben. Die 
näheren Vorschriften zur Ausführung der Verfassungsbestimmungen wurden 
durch eine provisorische Verordnung vom 4. Aug. 1852 erlassen, welche laut 
einer Bekanntmachung vom 14. April 1853 die nachträgliche Genehmigung 
der Kammern erhalten hat. Durch das G., betr. die Bildung der Ersten 
Kammer, vom 7. Mai 1853 wurden die Art. 65-68 der Verfassungurkunde 
aufgehoben. Dieses Gesetz bestimmte, daß „die Erste Kammer durch königliche 
Anordnung gebildet wird, welche nur durch ein mit Zustimmung der Kammern 
zu erlassendes Gesetz abgeändert werden kann. Sie wird aus Mitgliedern 
zusammengesetzt, welche der König mit erblicher Berechtigung oder auf 
Lebenszeit beruft“. Auf Grund dieses Gesetzes erging die V. wegen Bildung 
der Ersten Kammer vom 12. Okt. 1854. Danach besteht die Erste Kammer, 
seit dem G. vom 390. Mai 1855 „Herrenhaus“ genannt: 1. aus den Prinzen 
des königlichen Hauses, sofern sie der König nach erlangter Großjährigkeit 
beruft; 2. aus dem Haupte des fürstlichen Hauses Hohenzollern-Sigmaringen 
(das in der Verordnung ebenfalls genannte Haus Hohenzollern-Hechingen 
ist inzwischen ausgestorben); 3. aus den Häuptern der vormals reichs- 
ständischen Häuser; 4. aus den zur Herrenkurie des Vereinigten Landtages 
(vgl. oben S. 154) berufenen Fürsten, Grafen und Herren und denjenigen 
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