Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

24 Einleitung. $ 6. 
l. Souveränetät bezeichnet die Eigenschaft des Staates als 
höchstes herrschendes Gemeinwesen?®. Die Souveränetät 
in diesem Sinne äußert sich in einer zweifachen Richtung: 
a) der Unabhängigkeit des Staates von der Herrschaft 
anderer Gemeinwesen, 
b) der Überordnung desselben über alle auf seinem Gebiet 
befindlichen Personen und Personenverbände. 
In der Freiheit von der Herrschaft anderer Gemeinwesen zeigt 
sich die äußere (völkerrechtliche), in der Überordnung über die 
auf dem Staatsgebiete befindlichen Personen und Verbände die 
innere (staatsrechtliche) Seite der Souveränetät?. 
Die Souveränetät des Staates schließt jede rechtliche Bindung 
desselben durch einen höheren Willen aus. Dagegen ist die 
Bindung desselben durch seinen eigenen Willen, d. h. durch 
Übernahme vertragsmäßiger Verpflichtungen gegenüber anderen 
Staaten, mit dem Wesen der Souveränetät vollkommen vereinbar !, 
Der Einheitsstaat ist stets souverän. Er ist formell 
durch keine Schranke gebunden, in diesem Sinne also omni- 
potent. Allerdings bestehen auch für ihn materielle Schranken, 
welche durch den Staatszweck gegeben sind. Diese Schranken 
wird eine verständige und umsichtige Staatsleitung niemals ver- 
kennen, aber es steht ihr kein staatsrechtliches Hindernis ent- 
gegen, über dieselben hinauszugehen !!, 
souveränetät, im letzteren von Fürsten- und Volkssouveränetät.— 
Es muß zugegeben werden, daß es — theoretisch betrachtet — zweck- 
mäßig sein würde, für die Charakterisierung des letzteren Verhältnisses die 
Bezeichnung „Souveränetät“ völlig aufzugeben und den Ausdruck „Souve- 
ränetät“ lediglich auf Gemeinwesen anzuwenden. Der praktische Sprach- 
ebrauch ist aber zurzeit noch ein anderer. (Gestebt auch Jellinek, 
Staatel. 453 zu.) Die Herrscher monarchischer Staaten werden in der po- 
litischen und diplomatischen Praxis noch ganz allgemein als Souveräne 
bezeichnet und ın denjenigen Staaten, in welchen das Volk als Träger der 
Staatsgewalt erscheint, spricht man auch heute noch von dem Grundsatz 
der Volkssouveränetät. Ein derartiger allgemeiner Sprachgebrauch 
kann auch in wissenschaftlichen Darstellungen des Stantsrechts nicht ignoriert 
werden. Vgl. Anschütz, Enzyklop. 22. In der Schrift über Gesetz und 
Verordnung 207 ff. gebraucht übrigens Jellinek selbst den Ausdruck Souve- 
ränetät auch von Personen. Ebenso unterscheidet Merkel, Enzykl. (2. Aufl. 
1909) 162, 172 die Souveränetät als Eigenschaft des Staates und als Eigen- 
schaft bestimmter Personen im Staate. Vgl. auch Haenel, St.R. 1 114 N. 1. 
8 Lingg, Empirische Untersuchungen 223, 235 identifiziert die Begriffe 
der Souveränetät und Herrschaft; ebenso Seydel, Ann.D.R. (1898) 324. Dies 
ist unrichtig. Allerdings kann Souveränetät nur da vorkommen, wo Herr- 
schaftsrechte existieren. Aber nicht jede Herrschaft ist eine souveräne. 
9 Vgl. Haenel, St.R. 1 118; Heıilborn, das völkerrechtliche Protektorat. 
(1891.) 47, 48. Rehm, Staatsl. 63 ff.; Jellinck, Staatsl. 474 und Anm. 5. 
10 Dies hebt mit Recht Jellinek, Staatenverbindungen 34, 54 hervor, 
dem sich Le Fur a. a, O. Etat Fedäral 443 anschließt. Vgl. auch Anschütz, 
Enzyklop. 3. Aber es ist nicht notwendig, dieses Moment in den Begrift 
der Souveränetät aufzunehmen. 
ıı Den Charakter der formellen Unbeschränktheit und materiellen Be- 
schränktheit des Staates heben richtig hervor H. Schulze, Einleitung ($ 51)
	        
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