96 Einleitung. $ 7.
das Bestehen der Staaten im allgemeinen aufzufindena. Wohl aber
kann die Berechtigung eines konkreten Staates Gegenstand
staatsrechtlicher Erörterung werden. Da mit der Existenz eines
Staates notwendig auch das Vorhandensein einer höchsten Gewalt
gegeben ist, so fällt die Frage nach der Berechtigung des Staates
zusammen mit der Frage nach der Berechtigung der Staats-
gewalt. Dagegen kann der Rechtsgrund der Staatsgewalt
Gegenstand der Erörterung sein, ohne daß die Berechtigung des
Staates in Frage steht. Dies ist da der Fall, wo es sich nicht
um eine neue Staatenbildung, sondern um eine Verfassungsänderung
oder einen Thronwechsel in einem bestehenden Staate handelt.
Legitim heißt eine Staatsgewalt, welche dem bestehenden
Rechte gemäß; illegitim eine Staatsgewalt, welche gegen das
bestehende Recht zur Herrschaft gelangt ist!. Der Begriff der
Legitimität findet ebensowohl auf republikanische als auf monar-
chische Staatsverfassungen Anwendung‘®.
Die Befugnis zur Ausübung der Staatsgewalt ist aber.
nicht durch den rechtmäßigen Erwerb, sondern nur durch
den tatsächlichen Besitz derselben bedingt®. Die Staats-
gewalt kann in keinem Momente eines Repräsentanten entbehren,
der die Herrschaftsrechte handhabt. Da der vertriebene legitime
Herrscher dazu nicht imstande ist, so muß es der tatsächlich im
Besitz befindliche illegitime Herrscher tun. Die Frage nach der
Legitimität einer Staatsgewalt kann daher zwar nach Rechts-
grundsätzen entschieden werden, aber die Eigenschaft einer Staats-
gewalt als einer legitimen äußert keine besonderen Rechtswirkungen.
Legitimität ist „kein Wesensmoment der Staatsgewalt“ b,
Ein illegitimer Herrscher kann durch die Restauration des
legitimen wieder verdrängt werden. In diesem Falle hat die
illegitime Staatsgewalt den Charakter einer Zwischenherr-
schaft. Aus dem Grundsatze, daß die Befugnis zur Ausübung
» Vgl. aber die eingehenden Untersuchungen Jellineks über diese Fragen:
Staatsl. 184 ff. (Rechtfertigung des Staates), 266 ff. (Entstehung und Untergang
des Staates). Vgl. auch Rehm, Staatsl. 266 ff.; Brie, Entstehung und Unter-
ang an taaten, im Handb. d. Pol. 1 66 ff.; Stier-Somlo, Politik (2. Aufl.
l) .
1 S. Brie, Die Legitimation einer usurpierten Staatsgewalt, Abt. I (1866).
F, Brockhaus, Das Legitimitätsprinzip (1865).
° Völlig zu verwerfen ist daher die ausschließliche Verwertung des
Legitimitätsprinzips im monarchischen Interesse, wie sie beim Wiener Kon-
gresse erfolgte. Vgl. Brockhaus a.a. 0. 11ff.; Anschütz, Enzyklop. 12.
® Brockhaus a. a. O. 232 ff.; v. Seydel, Vorträge aus dem allg. St.R. 2, 3;
Jellinek, Staatsl. 274 ff., 285; Anschütz, Enzyklop. 12. Die von Bierling,
Kritik 13 ff. aufgestellte Theorie, nach welcher das Recht auf der An-
erkennung basieren soll, führt tatsächlich zu demselben Resultate, da. der
Verf. auch die erzwungene Anerkennung für genügend crachtet (8.6). Über
die Bedeutung der Anerkennung für das Staatsrecht vgl. auch Jellinek, Sy-
stem 199 ff.; Staatsl. 273ff. Vom politischen Standpunkte aus wenden sich
scharf gegen das Legitimitätsprinzip v. Treitschke, Politik 1 134 und Bis-
marck in seinen Gedanken und Erinnerungen 1 176.
b Pohl, Arch.Off.R. 20 180.