Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

378 Zweiter Teil. Zweites Buch. $ 105. 
stitutionellen Verfassungen übergegangen *‘. Diese gestatten die 
Verhaftung eines Landtagsmitgliedes oder überhaupt die Einleitung 
einer strafgerichtlichen Untersuchung gegen Landtagsmitglieder 
während der Sitzungsperiode nur mit der Einwilligung des Land- 
tages oder der betreffenden Kammer, wovon höchstens der Fall 
des Ergreifens auf frischer Tat eine Ausnahme macht?’., Der 
Zweck dieser Bestimmungen ist nicht, einen Verbrecher deshalb, 
weil er Landtagsmitglied ist, der gerichtlichen Bestrafung zu ent- 
zieben, sondern nur tendenziösen Verfolgungen vorzubeugen, welche 
angestellt werden, um Kammermitglieder an der Austibung ibres 
Berufes zu hindern. Aus diesem Grunde und weil die betreffenden 
Bestimmungen den Charakter von Privilegien haben, also eng aus- 
gelegt werden müssen, sind sie auf Verhaftungen, welche erfolgen, 
damit ein Landtagsmitglied eine rechtskräftig erkannte Strafe ver- 
büße, nicht anzuwenden ?®; ebensowenig auf Verhaftungen, welche 
angeordnet werden, um das Erscheinen des Angeklagten vor Gericht, 
insbesondere in der Hauptverhandlung, zu erzwingenf. Einige 
ss Im englischen und nordamerikanischen Rechte bezieht sich das 
Privileg nur auf die Verhaftung wegen Schulden, dagegen nicht auf eine 
Verhaftung wegen begangener erbrechen. (May a.a. OÖ. chap. V; Verf. der 
Ver. St. Art. I sect. 6 $ I, Freund, Amerik. Staatsr. 108; Hatschek, Engl. 
Staatsr. 1 425). Erst die kontinentalen Verfassungen haben dasselbe auch 
auf Verhaftungen in Kriminalsachen ausgedehnt (Franz. Verf. vom 3. Sept. 
1791, tit. III, chap. 1 sect. 5 $ 8, Franz. Charte vom 4. Juni 1814 88 34, 51, 
52, Belg. Verf. Art. 45), Vgl. Seidler in GrünhutsZ. 24 234 ff. 
9 Unzulässig ist nicht nur die Verhaftung sondern überhaupt die Ein- 
leitung einer Untersuchung in Preußen (Verf. Art. 84), Bayern (Verf. Tit. VII 
$ 26, Fassung vom 6. Juli 1908), Württemberg (Verf. $ 184, Fassung vom 
16. Juli 1906), Sachsen- Weimar (RGG. $ 19), Sachsen-Altenburg (G., die 
Sicherstellung der Abgeordneten gegen persönliche Haft betr., vom 23. Nov. 
1848), Reuß j. L. (StGG. 8 94), Schaumb.-Lippe (Verf. Art. 18); nur die Ver- 
haftung in Sachsen (Verf. $ 84, doch interpretiert Sonntag, chutz usw. 73 
die Bestimmung weiter), Baden (Verf. $ 49), Hessen (Verf. Art. 84, vgl. Zeller 
im Arch.Off.R. 11 420 ff.), Sachsen- Koburg-Gotha (StGG. $ 86), Oldenburg 
(StGG. Art. 132), Braunschweig (N. LO. $ 135), Reuß ä. L. (Verf. $ 65). — Die 
Bestimmung der S.-Mein. GG. 8 100 befreit nur von der Haft in bürgerlichen 
Rechtssachen und Polizeisachen und läßt die Kriminaluntersuchung za. 
2 Über die Interpretation des Art. 31 der R. Verf. vgl. $ 133. Dieselbe 
ist auch für die landesgesetzlichen Vorschriften von Wichtigkeit, da diese 
mit denen der Reichsverfassung zum Teil wörtlich übereinstimmen. — Über- 
einstimmend: H. Schulze, Lelhirb. Deutsch. Staatsr. ($ 180) 1 487, Preuß. 
Staatsr. 8 160; v. Rönne, Preuß. Staatsr. ($ 72) 1 317; Zorn in der 5. Aufl. 
dess. 1 386 fl.; v. Sarwey, Württemberg. Staatsr. 2 209; Bornhak, Preuß. 
Staatsr. 1 429, 431; v. Kirchenheim, Lehrb. Deutsch. Staatsr. 265; Fuld im 
Magazin f. d. deutsche Recht der Gegenwart 7 1ff.; Seidler, Immunität 105 ff. ; 
van Calker, Hess. Staatsr. 57. [Daß die oben erörterten landesgesetzlichen 
Bestimmungen sich nur auf die Haft zum Zwecke der Strafverfolgung 
(Untersuchungshaft), nicht auf die Strafvollstreckungshaft bezichen, 
ergibt sich auch aus EStrPO. 8 6 Nr. 1 (s.u. N. 30), woselbst nur diejenigen 
landesgesctzlichen Normen aufrechterhalten werden, welche Vorschriften 
enthalten „über die Voraussetzungen, unter welchen gegen Mitglieder einer 
gesetzgebenden Versammlung während der Dauer einer Sitzungsperiode 
eine Strafverfolgung eingeleitet oder fortgesetzt werden kann“. 
f StrPO. 88 229, 235. Vgl. RG. Strafs. 38 179ff.; Adam, DJZ. 9 358; 
Dambitsch, Komm. z, RV. 469, 470. Die Verhaftung zum Zweck der Vor-
	        
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