Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

Die Organe. $ 110. 413 
möglichst zu beschränken. So kam es, daß viele Personen, welche 
sich in der Gemeinde niedergelassen, ein Einzugsgeld gezahlt 
hatten und an der Entrichtung der Gemeindeabgaben teilnahmen, 
gänzlich außerhalb des Gemeindeverbandes standen. 
Nach dem Dreißigjährigen Kriege begann die fürsorgende 
Tätigkeit der Landesherren sich auch auf die Bewohner des platten 
Landes zu erstrecken. Die Erhaltung eines kräftigen Bauern- 
standes wurde als ein Gebot landesherrlicher Politik angesehen. 
Durch die landesherrliche Gesetzgebung waren den Gemeinden 
mehrfache Aufgaben überwiesen worden, deren Erfüllung früher 
in den Händen kirchlicher Organe gelegen hatte, namentlich die 
Sorge für die Armenpflege und das Schulwesen. Der Gemeinde- 
vorsteher geriet mehr und mehr in die Stellung eines untergeord- 
neten Organs der landesherrlichen Obrigkeit zur Ausübung lokaler 
Polizeifunktionen. Dadurch erhielten die Landesherren Ver- 
anlassung, sich auch mit der Verfassung der Landgemeinden näher 
zu beschäftigen. Landesherrliche Verordnungen bestimmten, wer 
als Mitglied der Gemeinde anzusehen sei, und welche Rechte den 
Gemeindemitgliedern zuständen. Sie knüpften dabei in der Regel 
an den Wohnsitz im Gemeindebezirk an. So entstanden neue Ge- 
meinden auf rein politischer Basis. 
Nur selten wurde auch die Teilnahme an den Marknutzungen 
als ein Ausfluß des auf diese Weise entstandenen politischen 
Gemeindebürgerrechtes angesehen. In der Regel erhielten sich die 
alten Markgemeinden neben den neuen politischen Gemeinden ent- 
weder als herrschende Korporation innerhalb derselben oder als 
rein privatrechtlicher Verband. Sie traten teils in der Form der 
Realgemeinde auf, so daß die Mitgliedschaft an den Besitz be- 
stimmter Grundstücke geknüpft war, teils in der Form von 
Nutzungsgemeinden, so daß die Marknutzungen als ein selbständiges 
und frei veräußerliches Vermögensobjekt erschienen. 
4. In Deutschland war die Gemeinde trotz der eingehenden 
Staatsaufsicht und Staatskontrolle doch immer als ein selbständiges 
Gemeinwesen betrachtet worden. Wenn auch die Landgemeinden 
wegen der Unfreiheit des Bauernstandes und des Einflusses der 
Gutsherrschaft sich in einem Zustande der Gedrücktheit befanden, 
80 hatten doch die Städte eine erhebliche Selbständigkeit bewahrt. 
a Dieses Urteil G. Meyers trifft allenfalls für die mittleren und kleineren 
deutschen Länder zu, nicht aber für Brandenburg-Preußen. Hier ist von der 
2. Hälfte des 17. Jahrhunderts ab bis zur StO von 1808 (s. oben im Text) von 
einer „erheblichen“ oder auch nur unerheblichen Selbständigkeit der Städte 
keine Rede. Die preußische Stadt des 18. Jahrhunderts ist keine sich selbst 
regierende Korporation, sondern eine von außen und oben her durch König- 
liche Behörden regierte Staatsanstalt. E. v. Meier, Reform der Verwaltungs- 
organisation (2. Aufl.) 61f., 77 ff. läßt dies nicht genügend hervortreten; 
besser M. Lehmann, Freiherr vom Stein 224ff. und Preuß, Entwicklung des 
deutschen Städtewesens 1 156 fi. Wie letzterer mit Recht bemerkt, wurde 
im preußischen Staate jener Zeit „das System absoluter fürstlicher Obrig- 
keit, des Polizei- und Militärstaates, der völligen Entrechtung der Städte, 
G. Meyer-Anschätz, Deutsches Staatsrecht. Il. 7. Aufl. 27
	        
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