Die Organe. $ 112. 429
mehr erforderlich ist. DieR.-Gewerbeordnung"? erklärt die
Befugnis zum Gewerbebetrieb für unabhängig vom Besitz des
Bürgerrechtes. Der Gewerbetreibende muß jedoch nach Ablauf
von drei Jahren auf Verlangen der Gemeinde das Bürgerrecht er-
werben, es darf aber in diesem Falle ein Bürgerrechtsgeld (Auf-
nahmegebühr) von ihm nicht gefordert werden. Das RG über
den Unterstützungswohnsitz!? regelt die Verpflichtung
zur Armenpfiege. Die hauptsächlichsten Organe derselben sind
die Ortsarmenverbände, welche aus einer oder mehreren Gemeinden
bestehen. Die Pflicht der Ortsarmenverbände zur Unterstützung
eines Hilfsbedürftigen bestimmt sich nicht durch die Gemeinde-
angehörigkeit, sondern durch den Unterstützungswohnsitz desselben.
Dieser wird erworben durch Abstammung, Verehelichung und ein-
jährigen ununterbrochenen Aufenthalt in einem Ortsarmenverbande
nach zurückgelegtem sechzehnten Lebensjahre. Er geht verloren
durch Erwerbung eines anderweitigen Unterstützungswohnsitzes
und einjährige ununterbrochene Abwesenheit nach zurückgelegtem
sechzehnten Lebensjahre.
Diese reichsgesetzlichen Vorschriften haben außerordentlich tief
in die bisher bestehenden Grundsätze des Landesrechts über die Zu-
gehörigkeit zur Gemeinde eingegriffen. Das Heimatsrecht hat
dadurch fast alle Bedeutung verloren. Namentlich ist ihm diejenige
Wirkung entzogen, auf welche früher das Hauptgewicht gelegt
wurde: der Anspruch auf Armenunterstützung. Unabhängig vom
Erwerb des Heimatsrechtes sind ferner das Recht zum Aufenthalt
und zur Verehelichung in einer Gemeinde, die Befugnis zum
Grundstückserwerb und Gewerbebetrieb. Bestehen geblieben ist
nur der Anspruch, das ÖOrtsbürgerrecht unter erleichterten Be-
dingungen zu erwerben, und das Recht der Benutzung der Ge-
meindeanstalten. Letzteres hat jedoch keine erhebliche praktische
Bedeutung. Die meisten derartigen Anstalten (Wege, Straßen,
Brücken, Beleuchtungs- und Löschanstalten, Wasserleitungen usw.)
sind derart, daß ihre Benutzung niemandem verweigert werden
kann, der in der Gemeinde seinen Wohnsitz hat. Für die Teil-
nahme an den Armenanstalten ist nicht mehr das Heimatsrecht,
sondern der Unterstützungswohnsitz maßgebend. So bleiben nur
etwa gewisse örtliche Stiftungen übrig, deren Genuß den Gemeinde-
1! RGO vom 21. Juni 1869, eingeführt in Südhessen durch Art. 80 der
Verf. vom 15. Nov. 1870, in Württemberg und Baden durch RG vom 10. Nov.
1871, in Bayern durch RG vom 12. Juni 1872, in Els.-Lothr. durch RG vom
27. Febr. 1888.
ı8 RG über den Unterstützungswohnsitz vom 6. Juni 1870, eingeführt
in Südhessen durch Art. 80 der Verf. vom 15. Nov. 1870, in Württemberg
und Baden durch RG vom 8. Nov. 1871, in Elsaß-Lothringen durch RG vom
30. Mai 1908. In Gestalt der neueren Fassung, welche das Unterstützungs-
wohnsitzgesetz durch da3 RG vom 30. Mai 1908 erhalten hat, ist es in Bayern
(vom 1. Jan. 1916 ab, vgl. Kaiserl. V. vom 4. April 1915, RGBl 221) ein-
eführt worden durch RG vom 30. Juni 1913. Es gilt jetzt also im ganzen
eichsgebiet.
G. Meyer-Anschütz, Deutsches Staatsrecht. Il. 7. Aufl. 23