Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

446 Zweiter Teil. Zweites Buch. 8 116. 
flachen Landes!®. Die gutsherrliche Polizei wurde beseitigt und 
die Ausübung der ortspolizeilichen Funktionen Amtsvorstehern 
— unmittelbaren Staatsbeamten im Ehrenamt — übertragen. Die 
Zusammensetzung der Kreistage erfuhr wesentliche Modifikationen 
im Sinne einer Abkehr von dem ständischen Prinzip; in den aus 
Wahlen der Kreistage hervorgegangenen Kreisausschüssen entstand 
innerhalb der Kreise ein neues auf Elemente der Selbstverwaltung 
basiertes Organ, welches einen bedeutenden Anteil an der Aus- 
übung obrigkeitlicher Befugnisse erhielt. Im ‚Jahre 1875 erfolgte 
die Reform der Provinzialverwaltung und die Einführung 
der Verwaltungsgerichtsbarkeit!!. Die Provinzialland- 
tage sollten künftighin aus Wahlen der Kreistage hervorgehen. 
Als Organ der Staatsverwaltung in Regierungsbezirk und Provinz 
wurden Bezirksrat, Bezirksverwaltungsgericht und Provinzialrat 
errichtet. Alle diese Behörden setzten sich aus vom König er- 
nannten staatlichen Berufsbeamten (diese jeweils in der Minder- 
heit) und (zur Mehrheit) aus Nichtbeamten zusammen, welche von 
den Provinzialvertretungen gewählt wurden. Bezirksrat und 
Provinzialrat fungierten für die Angelegenheiten der reinen Ver- 
waltung (die sogenannten Beschlußsachen), das Bezirksverwaltungs- 
gericht für die Ausübung der Verwaltungsgerichtsbarkeit (die so- 
genannten Verwaltungsstreitsachen). Für die höchstinstanzliche 
Jurisdiktion in Verwaltungssachen wurde ein Oberverwaltungs- 
gericht geschaffen. Diese Organisationen gelangten jedoch zu- 
nächst nur in den östlichen Provinzen des Staates mit Aus- 
nahme der Provinz Posen und mit gewissen Modifikationen in 
den hohenzollernschen Landen! zur Einführung. 
Die Ausdehnung derselben auf die westlichen und die neuen 
Provinzen des Staates war zwar in baldige Aussicht genommen, 
erfuhr aber unter dem Einfluß verschiedener politischer Strömungen 
eine langjährige Verzögerung. Zunächst wurde in den Jahren 
1880 und 1881 eine Modifikation und Ergänzung der betreffen- 
den Verwaltungsgesetze vorgenommen, welche jedoch die wesent- 
10 Kreisordnung für die Provinzen Ost- und Westpreußen, Brandenburg, 
Pommern, Schlesien und Sachsen vom 13. Dez. 1872. Literatur zu der durc 
die KrO eingeleiteten Verwaltungsreform: v. Brauchitsch-Braunbehrens-Studt, 
Preuß. Verwaltungsgesetze, Bd. I—-Ill; dazu provinzielle Ergänzungsbände 
für die westl. und neuen Provinzen und für Posen); E. v. Meier, Enzykl.(6. Aufl.) 
679 .; Kloeppel, 30 Jahre deutscher Verfassungsgesch. 402 ff.; v. Stengel, 
Die Organisation der preußischen Verwaltung nach den neuen Reform- 
esetzen; Bornhak, Preußische Staats- und Rechtsgeschichte 491 ff. und in Hirths 
‚nnaien 1902 206 ff.; H. Preuß, Zur preußischen Verwaltungsreform (1910) 
19—88. 
ıı Provinzialordnung vom 29. Juni 1875, G. betr. die Verfassung der 
Verwaltungsgerichte und das Verwaltungsstreitverfahren, vom 3. Juli 1875. 
Dazu noch das G. betr. die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden und 
Verwaltungsgerichtsbehörden vom 26. Juli 1876 (später aufgehoben,‘ sog. 
älteres Zuständigkeitsgesetz). 
12 Hohenzollernsche Amts- und Landesordnung vom 2. April 1872
	        
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