Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

480 Zweiter Teil. Zweites Buch, $ 122. 
ständigen Vetos gegenüber Bundesrat und Reichstag zugestanden; 
es ist kein kaiserliches, sonde?n ein preußisches Vetorecht. 
Die Differenz wird demgemäß als ein Internum des Bundesrates 
behandelt und lediglich innerhalb dieser Körperschaft zum Austrag 
ebracht. 
s Dem Reichstage gegenüber nimmt der Bundesrat 
nicht die Stelle eines zweiten Faktors der Repräsentation (einer 
ersten Kammer oder eines Oberhauses), sondern diejenige Stellung 
ein, welche im konstitutionellen Staate die Regierung besitzt. 
Der Reichstag kann niemals ohne den Bundesrat, wohl aber der 
Bundesrat ohne den Reichstag berufen werden. Die Vorlagen 
gehen vom Bundesrat an den Reichstag, die Einbringung geschieht 
allerdings im Namen des Kaisers, aber nach Maßgabe der Be- 
schlüsse des Bundesrates. Die Vertretung derselben erfolgt durch 
Mitglieder des Bundesrates oder durch Kommissare, welche von 
diesem ernannt werden. Zur Auflösung des Reichstages ist ein 
Beschluß des Bundesrates unter Zustimmung des Kaisers er- 
forderlich. 
4. die Reichsbehörden und Reichsbeamten. Ihre 
Stellung ist analog der der Behörden und Beamten der Einzel- 
staaten. Sie leiten ihre Befugnisse von einem anderen Organ des 
Reiches ab und sind nur innerhalb eines begrenzten Kreises von 
Angelegenheiten, namentlich auf dem Gebiete der Justiz und Ver- 
waltung tätig. 
& 122. 
Die Verfassung des Deutschen Reiches ist durchaus eigen- 
artig. Sie kann weder mit dem Maßstabe gemessen werden, 
welchen die bundesstaatlich-republikanischen Verfassungen der 
Schweiz und der Vereinigten Staaten von Amerika an die Hand 
geben !, noch darf sie nach Analogie des alten deutschen Reiches 
oder des Deutschen Bundes? beurteilt werden?®. Ebensowenig 
1 Zu den Schriftstellern, welche sich bei Beurteilung der RV in zu 
hohem Grade von nordamerikanischen Analogieen leiten lassen, gehört 
namentlich Westerkamp. Auch Le Fur, Etat federal 623 ff., irrt, wenn er 
den Bundesrat dem Senat der Vereinigten Staaten und dem Ständerat der 
Schweiz völlig gleichstellt. Das Verdienst einer kräftigen Reaktion gegen 
solche unzutreffenden Gleichstellungen hat sich O. Mayer, Arch AR 18 
337 ff. erworben. 
» — wie Arndt, StR des Deutschen Reiches 88 ff. will. Er glaubt sogar 
sagen zu dürfen, daß die Absicht der RV, „ein novum gegenüber dem Rechte 
des deutschen Bundes“ einzuführen, „nicht zu vermuten, sondern klar zu er- 
weisen“ sei (a. a. O. 93, 94). Diese Anschauung ist vollkommen willkürlich. 
® Auch die Vergleichung des Bundesrates mit dem alten deutschen 
Reichstage (R.v. Mohl1330; Laband1$27S.216, Reincke, Der alte Reichstag und 
der neue Bundesrat 11906) hat nur eine beschränkte Berechtigung. Gleich- 
artig sind beide Körperschaften hinsichtlich ihrer Zusammensetzung, indem 
beide aus Vertretern der deutschen Landesherren und Freien Städte Bestehen. 
Dagegen war die Stellung des früheren Reichstages gegenüber dem Kaiser 
eine andere als die des jetzigen Bundesrates ist. alten deutschen Reiche
	        
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