Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

Die Organe. $ 127. 499 
das außerpreußische Deutschland, vielmehr die lebendige Ver- 
neinung dieser Hegemonie Die dem Kaiser tibertragenen Ge- 
walten sind nicht Bestandteile oder Zubehörstücke der preußi- 
schen Staatsgewalt, sondern Inhalt einer mit der Krone Preußen 
untrennbar verbundenen Reichsorganschaft. 
Diese Organschaft ist, wie bereits an anderer Stelle hervor- 
gehoben, eine oberste, unmittelbare Organschaft. Niemand 
steht zwischen Kaiser und Reich: der Kaiser hat kein noch 
höheres Organ des Reiches über sich, viel weniger ist er eines 
andern Organes Delegatar. Insbesondere nicht Delegatar des 
Trägers der Reichsgewalt, der Staatengesamtheit, verkörpert im 
Bundesrat. Der Kaiser regiert im Namen des Reichs, nicht 
aus Auftrag der verbündeten Regierungen. 
Das Wesen dieser Organschaft bestimmen, heißt einen all- 
gemeineren Rechtsbegriff aufsuchen, dem sie sich einordnen läßt. 
Einen solchen Begriff gibt es nicht. Die RV, Art. 11, bezeichnet 
das Kaisertum als „Präsidium des Bundes“, d. h. des Deutschen 
Reiches. Damit ist nichts erklärt. Als Gesamterscheinung ist 
unser Kaisertum eine Staatsorganschaft eigener Art. 
Im Sinne des Völkerrechts ist der Kaiser Staatsober- 
haupt, die „Regierung“ des Staates Deutsches Reich. Denn er 
repräsentiert dieses Reich im Verkehr mit andern Staaten, und er 
repräsentiert es voll, ausschließlich, ohne Konkurrenz eines andern, 
seine Vertretungsmacht nach außen beschränkenden Organs. 
."2Faßt man die innerstaatliche Stellung des Kaisers, sein Ver- 
hältnis zu den andern Organen und zu den Objekten der Reichs- 
gewalt ins Auge, so versagen alle hergebrachten Begriffe. 
Der Kaiser ist mehr und etwas anderes als ein Beamter: 
niemand ernennt oder wählt ihn, niemandem ist er verantwortlich. 
Er ist also auch nicht (der Bezeichnung „Präsidium“ im Art. 11 
RV zutrotz) „Präsident“ des Reiches im Sinne republikanischen 
Staatsrechts (Vereinigte Staaten, Frankreich). Er ist aber auch 
nicht Monarch des Reichss, mag man dabei an die konstitutio- 
nelle Monarchie des deutschen Landesstaatsrecht oder an das 
Schema der parlamentarischen oder demokratischen Monarchie 
des Auslandes denken. Im bewußten Gegensatze zu dem Werke 
der Frankfurter Nationalversammlung (oben $ 59) gipfelt der Auf- 
bau des heutigen Reiches nicht in einer „monarchischen Spitze“. 
Das deutsche Landesstaatsrecht vereinigt die gesamte Staatsgewalt 
trägerschaftlich im Monarchen (vgl. oben $ 84); dieses Moment 
trifft bei dem Kaiser nicht zu, denn nicht er, sondern die Gesamt- 
heit der Einzelstaaten ist Träger der Reichsgewalt, nicht er, sondern 
der diese Gesamtheit verkörpernde Bundesrat besitzt diese Prä- 
sumtion der Zuständigkeit: „die Souveränetät ruht nicht beim 
q Oben $ 121 Anm. a. 
r A. M. die Voraufl. Vgl. oben $ 121 Anm. a. 
s Oben $ 121.
	        
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