Die Organe. $ 129. 503
stets an den Kaiser gerichtet worden. Doch bleibt es dem Reichs-
tage unbenommen, auch Adressen an den Bundesrat zu richten”.
Dem Reichstage steht endlich das Recht zu, Wünschen und An-
schauungen gegenüber dem Bundesrat oder dem Reichskanzler in
Form einer Resolution Ausdruck zu geben®,
8 129.
Der Reichstag ist ein Parlament, welches aus einer
einzigen Kammer besteht. Über die Zusammensetzung
derselben2 bestimmt die Verfassung! lediglich, daß er aus all-
gemeinenb und direkten Wahlen mit geheimer Abstimmung hervor-
wenn auch im Allgemeinen der Bundesrat dem Reichstagefgegenüber die
Stellung der Regierung einnimmt (oben $ 121 S. 480), so ist doch das dem
Reichstage verantwortliche, also auch gegebenenfalls zur Beantwortung von
Fragen verpflichtete Reichsorgan allein der Reichskanzler. Betreffs der Ver-
flichtung les Reichskanzlers zur Beantwortung von Interpellationen gilt
as oben $ 96 S. 333 und Anm. 13 über die analoge Pflicht der Landes-
minister Gesagte. Vgl. auch Anschütz, Enzykl. 113,
1 Adressen an den Bundesrat erklärt für unzulässig v. Rönne, StR des
Deutschen Reiches Bd. I 8 36 S. 269, Wagner in AnnDR 1906 139, weil bei
Eröffnung, Vertagung und Schließung sowie bei Gesetzesvorlagen dem
Reichstage nur das Bundespräsidium handelnd gegenübertrete. Hinsichtlich
der Gesetzesvorlagen ist diese Behauptun nach rt. 16 der RV entschieden
unrichtig. Auch braucht sich der Gegenstand einer Adresse weder auf Er-
öffnung oder Schließung des Reichstages noch auch auf Gesetzesvorlagen zu
beziehen. UÜbereinstimmend: Laband a. 2.0. 1 309 N. 1; v. Seydel, Komm.
2. Aufl. zu Art. 23 N. IIl (a. M. in der 1. Aufl.); Anschütz, Enzykl. 108. —
{Unrichtig ist die Ansicht Labands (1 309), durch den Erlaß der Adresse
werde keine staatsrechtliche Funktion ausgeübt. Soll etwa die Adresse ein
Privatbrief und kein amtliches Schriftstück sein? Sowohl die Beschluß-
fassung über die Adresse wie die Überreichung derselben durch eine Depu-
tation (RTGO 368) sind amtliche, kompetenzmäßige Akte des Reichstages;
dabei erfolgende Äußerungen sind durch die Immunität (Art. 30 RV, vol.
unten 516) gedeckt. — Eine Pflicht zur Entgegennahme der Adresse besteht
nicht: Laband 1 308, R. Schmidt, ZfPol 2 187.) L_
8 [Nach $33a RTGO können bei der Besprechung von Interpellationen
Anträge gestellt werden, welche die Feststellung verlangen, daß die Be-
handlung der den Gegenstand der Interpellation bildenden Angelegenheit
durch den Reichskanzler der Anschauung des Reichstags entspricht oder daß
sie ihr nicht entspricht.)
a Vgl. zum Folgenden die ausführliche, insbesondere auf die Praxis
des Reichstags gestützte Darstellung von Hatschek, Parlamentsrecht 1
169:ff., 267 ft.
I RV Art. 20.
b Damit ist das allgemeine Wahlrecht in dem herkömmlichen
Sinne verfassungsmäßig festgelegt. Die Ansicht Labands, 1 320, wonach die
durch Art. 20 vorgeschriebene Allgemeinheit nur bedeute, daß die Reichs-
tagswahlen im ganzen Reichsgebiete an einem und demselben Tage vor-
zunehmen sind, wird von niemand sonst geteilt und ist sicher unrichtig
(gegen sie zutreffend Dambitsch, RV 398); ihre praktische Konsequenz würde
sein, daß Einschränkungen des Wahlrechts, z. B. durch Einführung eines
Densus, durch einfaches Gesetz ohne Verfassungsänderung bewirkt werden
Önnten,