Die Organe. $ 188. 517
gesamte Berufstätigkeit der Reichstagsabgeordneten der Kognition
der gewöhnlichen Behörden entzogen. Die Unverantwortlichkeit
der Reichstagsabgeordneten bezieht sich sowohl auf die Behauptung
von Tatsachen, als auf die Aufstellung von Ansichtene. Es ist
ferner einerlei, ob die betreffende Außerung im Plenum oder in
Kommissionen (Deputationen, Ausschüssen) und Abteilungen ge-
fallen ist. Endlich bleibt sowohl disziplinarische als gerichtliche
Verfolgung ausgeschlossen. Die Freiheit wahrheitsgetreuer
Berichte über Verhandlungen in den öffentlichen Sitzungen des
Reichstages von jeder Verantwortlichkeit ist ebenfalls anerkannt.
Da diese Bestimmungen mit den für die deutschen Landtage
geltenden durchaus übereinstimmen, so finden alle in bezug auf
die Landtage aufgestellten Grundsätze auch auf den Reichstag ent-
sprechende Anwendung”.
4. Auch in bezug auf Verhaftung stehen den Reichstags-
mitgliedern besondere Privilegien zu. Die RV bestimmt darüber
folgendes: „Ohne Genehmigung des Reichstages kann kein Mit-
lied desselben während. der Sitzungsperiode wegen einer mit
trafe bedrohten Handlung zur Untersuchung gezogen oder ver-
haftet werden, außer wenn es bei Ausübung der Tat oder im
Laufe des nächstfolgenden Tages ergriffen wird®. Gleiche Ge-
nehmigung ist bei einer Verhaftung wegen Schulden erforderlich?.
Auf Verlangen des Reichstages wird jedes Strafverfahren gegen
ein Mitglied desselben und jede Untersuchungs- oder Zivilhaft für
die Dauer der Sitzungsperiode aufgehoben 1°.“ Die Genehmigung
des Reichstages ist demnach eine prozessualische Voraussetzung
für die Eröffnung einer Strafuntersuchung gegen einen Reichstags-
abgeordneten !!, insbesondere für die Verhängung der Unter-
e Oben 373. Über den Begriff der „Äußerung“ vgl. dort Anm. a.
f Oben $ 105 Anm. b.
6 RV Art. 22.
1 nel. $ 105 S. 376.
8 RV Art, 31 Abs. 1. Vorbild des Art. 31 ist Art. 84 der preuß. VU.
Die Literatur über letzteren Artikel ist daher auch für Art. 81 RV wichtig.
Vgl. oben 377 £f.
® RV Art. 31 Abs. 2, Vgl. ZPO $ 904.
10 RV Art. 31 Abs. 9. el. ZEO & 908.
11 [Unzulässig ist daher ohne Genehmigung des Reichstags jede Amts-
handlung der Strafjustiz und ihrer Organe (Strafgerichte, Üntersuchungs-
richter, Staatsanwaltschaft, Polizei), welche darauf abzielt, den Täter einer
strafbaren Handlung zu ermitteln und zur Rechenschaft zu ziehen. Ob die
Amtshandlung sich unmittelbar gegen die Person des Abgeordneten richtet
orladung zur Vermehmung, Durchsuchung usw.) oder nicht, ist gleichgültig.
o das Reichsgericht: RGStr 24 206, sowie v. Seydel, Komm. 214, Ärn t,
RStR 141, Dambitsch, RV 467, 468. A.M, die Voraufl. ($ 133 N. In, Adam,
DJZ 9 358; Meves im Archiv für StrR 84 154 ff.; Sonntag, Der be-
sondere Schutz der Mitglieder des deutschen Reichstages 49 ff.] — Für die
Fortsetzung eines vor Anfang der Session begonnenen Strafverfahrens ist
die Genehmigung des Reichstages selbstverständlich nicht erforderlich. Vgl.
tr >.