528 Zweiter Teil. Zweites Buch. $& 135a.
Kaisers, auen Regierungsakt gegenzuzeichnen bzw. auszuführen,
wird der Kanzler weder gebunden noch gedeckt; der tatsächlich
geleistete Gehorsam ist eine rechtlich freie Tat, welche voll dem
Täter, also dem Reichskanzler, niemand sonst anzurechnen ist.
Die Verantwortlichkeit des Reichskanzlers erstreckt sich auf
„die“ (Art. 17), also auf alle „Anordnungen und Verfügungen
des Kaisers“, d. h. auf den Gesamtbereich der Regierungsgewalt
des Reiches, soweit dieselbe dem Kaiser zur Ausübung über-
tragen istr. Soweit dagegen diese Gewalt dem Bundesrate
zusteht (oben $ 121 S. 478ff.), ist sie der Verantwortlichkeit des
Kanzlers, überhaupt jeder ministeriellen Verantwortlichkeit ent-
rückt. Selbstverständlich ist der Reichskanzler auch verantwort-
lich für seine eigene Amtstätigkeit einschließlich der von ihm ge-
leiteten Tätigkeit der Reichsbehörden. Ausgeschaltet wird die
Verantwortlichkeit des Reichskanzlers dadurch, daß einer seiner
Stellvertreter für ihn eintritt, z. B. statt seiner einen kaiserlichen
Regierungsakt kontrasigniert (vgl. unten $ 135a).
Wie die einzelstaatlichen Minister, so ist auch der Reichs-
kanzler nicht nur für die Gesetzmäßigkeit und sonstige Rechts-
gültigkeit, sondern auch für die Zweckmäßigkeit der von ihm
gegengezeichneten bzw. gebilligten Regierungsakte verantwortlich®.]
Über die Mittel, welche überhaupt und insbesondere dem
Reichstage zur Verfügung stehen, um die Verantwortlichkeit des
Reichskanzlers geltend zu machen vgl. unten $ 186.
3. Der Reichskanzler als Leiter der Reichs-
verwaltung und Dienstvorgesetzter der Reichs-
behörden. Hierüber unten $ 186.
& 135.
[Die Stellvertretung des Reichskanzlers! ist durch
RV Art. 15 Abs. 2 und durch das Reichsgesetz, betreffend
r — einschließlich der dem Kaiser nach Art. 63ff. RV zustehenden
militärhoheitlichen Befugnisse, denn auch diese zählen zur Regierungsgewalt.
Akte der kaiserlichen Kommandogewalt sind also im Prinzip ebenso kontra-
signaturbedürftig wie andere Akte des Kaisers. Es gelten die oben $ 84
Anm. f hervorgehobenen allgemeinen Grundsätze; vgl. auch insbesondere
das dort angeführte Werk von Marschall v. Bieberstein. Militärische Be-
fehle des Kaisers sind von allen Personen des Soldatenstandes auch dann
zu befolgen, wenn sie nicht kontrasigniert sind. Die Gegenzeichnung ist
hier also nicht Voraussetzung der Falti keit“, d. h. Vollziehbarkeit des
Aktes. Dies erklärt sich aus der den Mi itärpersonen obliegenden Pflicht
zu unbedingtem Gehorsam BY Art. 64 Abs. 1). Vgl. Marschall v. Bieber-
stein 2.2.0. 371ff. Anders die herrsch. M., die z.B. bei Dambitsch. Komm.
zur RV 347 ff. entwickelt wird.
s Vgl. oben 273 N. 24; Anschütz, Enzykl. 112,
! Laband, 1 383 fi.; Seydel, Komm. 179, 180; Jo&l, Das Gesetz betr. die
Stellvertretung des Reichskanzlers, AnnDR 1878 761 fl.;, Smend, AnnDR
1906 321 ff.,; Dambitsch, Komm. 323 ff., 374 ff.; Rosenthal, a. a. O. 32 ff;
Dainert, Die Stellvertretung des Reichskanzlers (Freib. Diss., 1902).