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so ist damit gesagt: die Staatsgewalt in diesem Lande steht dem
Reiche zu und wird namens desselben vom Kaiser ausgeübt. Der
Kaiser handelt hier wie überall nicht kraft eignen Rechts, sondern
in organschaftlicher Vertretung des Reichs (vgl. oben $ 121). Die
Organschaft ist nach Wortlaut und Sinn des Gesetzes vom 9. Juni
1871 eine trägerschaftliche (oben $ 5 Anm. a): die Staatsgewalt
im Reichslande wird vom Kaiser allein ausgeübt, soweit das
Gesetz nichts anderes bestimmt.
Die damit festgelegten Grundsätze (Elsaß-Lothringen ist reichs-
unmittelbares Gebiet, Reichsland, nicht Einzelstaat, der Kaiser ist
Träger der Staatsgewalt) sind als solche bis zur Gegenwart un-
verändert geblieben. Im übrigen hat das im Reichslande geltende
Staatsrecht manche Wandlungen durchmessen, Die Geschichte
dieser Wandlungen läßt sich in drei Perioden gliedern: die Periode
der Diktatur, die des konstitutionellen Zentralismus und die der
faktischen Autonomie:
1. Die Diktaturperiode reicht von der militärischen
Besetzung des Landes (s.oben) bis zum Inkrafttreten der Reichs-
verfassung: 1. Januar 1874. Eröffnet wird sie durch eine in
den unter analogen Verhältnissen üblichen Formen gehandhabte
militärische Okkupationsregierurg, geführt zunächst im Namen
des Norddeutschen Bundes und der süddeutschen Staaten, dann
des Reichs, durch einen am 14. August 1870 eingesetzten General-
gouverneur. Diese rein militärische, rechtlich völlig ungeregelte
Diktatur wurde auf Grund des Vereinigungsgesetzes vom 9. Juni
1871 abgelöst durch eine in einigen Punkten geregelte kaiser-
liche Diktatur; das Vereinigungsgesetz erklärt, wie oben erwähnt,
den Kaiser zum Träger der Staatsgewalt im Reichslande. In der
Ausübung der Staatsgewalt istder Kaiser grundsätzlich unbeschränkt.
Nur bei Erlaß von Gesetzen für das Reichsland ist er an die Zu-
stimmung des Bundesrates und bei Aufnahme von Anleihen oder
Übernahme von Bürgschaften, welche die Reichskasse belasten,
auch noch an die Genehmigung des Reichstags gebunden; im
Übrigen regiert er — vorbehaltlich der Verantwortlichkeit des
Reichskanzlers (Vereinigungsgesetz $ 4) — das Land ohne recht-
liche Schranken.
An der Spitze der Verwaltung Elsaß-Lothringens steht in
dieser Periode der Reichskanzler. Ihm unmittelbar untergeordnet
ist der in Straßburg residierende Oberpräsident. Die Zu-
ständigkeit desselben sowie die sonstigen Verhältnisse der reichs-
ländischen Verwaltung wurden durch das Gesetz betr. die Ein-
richtung der Verwaltung vom 30. Dezember 1871 geregelt. Die
Verwaltungsorganisation blieb im wesentlichen so bestehen, wie
sie in französischer Zeit gewesen war. Die Departements erhielten.
die Bezeichnung Bezirke (drei: Unterelsaß, Oberelsaß, Loth-
ringen); die Arrondissements, in welche die Departements zerfielen,
den Namen Kreise. An die Spitze der ersteren traten Bezirks-
präsidenten, den französischen Präfekten entsprechend, an die der