Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

544 Zweiter Teil. Zweites Buch. $ 138. 
und, soweit gewählt, aus Wahlen der reichsländischen Bevölkerung 
hervorgehen. Eine Sonderregierung des Reichs für seine Provinz 
Elsaß-Lothringen und ein Sonderparlament wurden eingesetzt und 
dadurch dem Lande ein gewisses Maß faktischer, wenngleich 
(da Elsaß-Lothringen auch jetzt noch nicht zu einem selbständigen 
politischen Gemeinwesen erhoben wurde) nicht rechtlicher Autono- 
mie gewährt. 
Den Anfang machte das Gesetz betr. die Landesgesetzgebung 
von Elsaß-Lothringen vom 2. Mai 1877. Es schuf eine besondere 
Legislative für den Erlaß von „Landesgesetzen“, d. h. solchen 
Reichsgesetzen, welche nach Inhalt und Geltungsbereich in die 
Kompetenz der einzelstaatlichen Gesetzgebung Elsaß-Lothringens 
fallen würden, wenn Elsaß-Lothringen ein Einzelstaat (ein „Land“ 
im staatsrechtlichen Sinne) wäre. Solche „Landesgesetze“ sollten, 
wofern man es nicht, was nach wie vor statthaft war", vorzog, 
sie im Wege der gemeingültigen Reichsgesetzgebung (RV Art. 5, 7 
Nr. 1, 17, 20) zustande zu bringen, vom Kaiser mit Zustimmung 
des Bundesrates und des Landesausschusses erlassen 
werden. Dieser Landesausschuß, ursprünglich eine Versammlung 
mit lediglich beratender Stimmep erhielt durch das Gesetz vom 
2. Mai 1877 Stellung und Rechte einer Volksvertretung; er war, 
wie der heutige Landtag des Reichslandes, ein Sonderparlament 
des Reiches für Elsaß-Lothringen, ein „Spezialreichstag“. 
Weitere Fortschritte auf dem Wege der Dezentralisation und 
Autonomie brachte das Gesetz betr. die Verfassung und Verwal- 
tung Elsaß-Lothringens vom 4. Juli 1879. Es bildete unter Aus- 
schaltung des Reichskanzlers und Aufhebung des diesem unter- 
stellten Reichskanzleramts für Elsaß- Lothringen sowie des Ober- 
präsidiums (s. oben 542) für die elsaß-lothringischen Landes- 
angelegenheiten einen besonderen Regierungsorganismus mit dem 
Sitz in Straßburg, bestehend aus dem dem Kaiser unmittelbar 
unterstellten, vom Reichskanzler unabhängigen Statthalter 
und, in Unterordnung unter diesen, dem Ministerium für 
Elsaß-Lothringen, mit einem Staatssekretär an der 
Spitze. Die Rechte des Landesausschusses wurden erweitert und 
seine Mitgliederzahl erhöht: er bestand nach dem Gesetz vom 
4. Juli 1879 aus 58 Mitgliedern (34 Abgeordneten der Bezirkstage, 
4 der größten Städte, 20 der Landkreise). Ein Staatsrat wurde 
eingesetzt zur Begutachtung von Gesetzentwürfen und anderen 
wichtigen Angelegenheiten. 
Den Abschluß bildet die Verfassungsreform von 1911: die 
beiden Reichsgesetze vom 31. Mai 1911 über die Verfassung 
Elsaß-Lothringens (VG) und über die Wahlen zur Zweiten. Kammer 
n G. vom 2. Mai 1877 8 2. 
o Vgl. unten $ 166. 
p KaisE vom 21. Okt. 1874; vgl. die Voraufl. 473, 474; Laband 2 224.
	        
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