548 Zweiter Teil. Zweites Buch. $ 189.
1911 Art. II $1 übernommene Satz: „Die Staatsgewalt in Elsaß-
Lothringen übt der Kaiser aus.“ Diese Staatsgewalt ist, wie
mehrfach hervorgehoben, keine von der Reichsgewalt im Subjekt
oder sonst verschiedene Gewalt, sondern sie ist die Reichs.
gewalt, örtlich bezogen auf das Reichsland und sachlich be-
schränkt auf den Umkreis der elsaß-lothringischen Landes-
angelegenheiten (oben 546). In dieser örtlichen und sachlichen
Begrenzung ist der Kaiser kraft Reichsgesetzes Träger der
Staatsgewalt (oben 542) und übt demgemäß, im Gegensatz zu
seiner Stellung im sonstigen Verfassungsaufbau des Reichs (oben
8121 S.477 ff.) nicht nur die ihm ausdrücklich übertragenen, sondern
alle ihm nicht entzogenen Funktionen der Staatsgewalt aus. Auch
das oberste Reichsorgan, der Bundesrat, ist in elsaß-lothringischen
Landesangelegenheiten nur insoweit zuständig, als ihm eine solche
Zuständigkeit durch Reichsgesetz ausdrücklich verliehen ist.
Als Träger der Landesstaatsgewalt ist der Kaiser dynamisch
ganz so gestellt wie ein Monarch im Sinne des deutschen Landes-
staatsrechts, d. h. so, als wäre Elsaß-Lothringen ein monarchisch
verfaßter deutscher Einzelstaat und der Kaiser der Landesherr.
Er unterscheidet sich von den deutschen Landesherren auch nicht
dadurch, daß er nicht kraft „eigenen Rechts“ herrscht, denn so
herrschen, richtig angeschaut, auch die Landesherren nicht2, auch
deren Stellung fußt nicht auf „eigenem“, sondern auf abgeleitetem
(nämlich vom Staate abgeleitetem) Recht, auch sie üben, wenn sie
regieren, nicht Machtbefugnisse aus, die ihnen, sondern solche,
die dem Staate „eigen“ sind. Ein grundsätzlicher Unterschied
liegt aber darin, daß dem Kaiser seine gleichsam landesherrliche
Stellung in Elsaß-Lothringen durch das Gesetz eines übergeord-
neten Staatswesens, des Reichs, übertragen ist und, weil und so-
weit ihm gegen das Zustandekommen und die Abänderung von
Reichsgesetzen ein Veto nicht zusteht (vgl. unten $ 168), wider
seinen Willen geschmälert oder entzogen werden kann.
Die trägerschaftliche ÖOrganstellung des Kaisers in Elsaß-
Lothringen ist seit dem Ende der Diktaturperiode (oben 542) nicht
mehr gleichbedeutend mit unumschränkter Herrschergewalt. Die
Ausübung der Staatsgewalt unterliegt den gemeingültigen Be-
schränkungen des konstitutionellen Systems. Alle Regierungsakte
des Kaisers bedürfen zu ihrer Gültigkeit ministerieller Gegen-
zeichnung. Zum Erlaß von Landesgesetzen bedarf der Kaiser der
Zustimmung der Volksvertretung: früher des Landesausschusses,
—
s Oben $ 84 S. 272; Anschütz, Enzykl. 123. — Die Voraufl., $ 189 Anm. 1,
sieht den Gegensatz zwischen dem Kaiser im Reichslande und den deutschen
Landesherren darin, daß der Kaiser „nicht Inhaber der Staatsgewalt, sondern
nur mit der Ausübung derselben betraut sei.“ „Inhaber“, d. h. Subjekt
der Staatsgewalt ist aber auch der Landesherr nicht, sondern der Staat als
solcher (oben 14, Anschütz, Enzykl. 25); auch die deutschen Landesherren
sind „nur mit der Ausübung der Staatsgewalt betraut“.