Die Organe. $ 146. 595
ordnung vom 1. Dezember 1898e übergegangene Vorschrift, wo-
nach der Beamte, dem ein seiner Ansicht nach gesetzwidriger
Befehl erteilt worden ist, dem Vorgesetzten seine Bedenken vor-
tragen („remonstrieren“), wenn aber seine Bedenken verworfen
werden, den Befehl ausführen muß, für einen gemeingültigen
Rechtsgrundsatz auszugebenf. Endlich kann auch der weit-
verbreiteten Lehre, welche die Prüfungspflicht des Beamten zwar
nicht auf die materielle, wohl aber auf die formelle Rechts-
gültigkeit der ihm erteilten Dienstbefehle erstrecken und der
Prüfung insbesondere die drei Fragen unterwerfen will: Ist die
befehlende Behörde zuständig, den Befehl zu erlassen? Ist der
beauftragte Beamte zuständig, die ihm aufgetragene Handlung
vorzunehmen ? Ist der Befehl in der vorschriftsmäßigen Form er-
teilt worden?g — nicht durchaus beigetreten werden. Denn diese
Ansicht unterliegt, wenn sie auch die Prüfungspflicht auf formelle
Zuständigkeitsfragen beschränken will, den gleichen Bedenken wie
jene weitergehende, wonach der Beamte auch die materielle Rechts-
gültigkeit der ihm erteilten Dienstbefehle zu untersuchen. hat;
auch hier wird, dem Grundprinzip der Behördeneinrichtung zu-
wider, der Untergebene über den Vorgesetzten erhöhth.
Es gelten, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, folgende
Grundsätze. Die Rechtswirksamkeit eines kraft der Überordnung
des Vorgesetzten über den Untergebenen (Dienstgewalt) er-
lassenen Befehls (Dienstbefehls) ist in der Regel nicht davon
abhängig, ob der Empfänger des Befehls die Handlung oder Unter-
lassung, die den Gegenstand des Befehls bildet (Dritten gegenüber)
für rechtlich zulässig hält. Die dienstliche Pflicht zur Ausführung
dessen, was befohlen ist, erstreckt sich mithin auch auf solche
Handlungen, die objektiv oder nach dem Dafürhalten des Unter-
gebenen mit den Gesetzen in Widerspruch stehen; es geht den
Vollziehungsbeamten, den Schutzmann nichts an, ob die ihm
zur zwangsweisen Vollstreckung übergebenen Verwaltungsakte
e Das. & 97 Abs.3. Vgl. dazu Marschall v. Bieberstein, Verantwortung
und Gegenzeichnung, 410.
f -— wie dies besonders in der älteren Literatur häufig geschieht:
Goenner, a. a. O. 202; Bluntschli, AllgStR a. a. O. 620; v. Gerber, a. a. O.
118 N.6; vgl. aber auch noch Schulze, PrStR 1316; v. Roenne-Zorn, PrStR
1 462. Gegen die Verallgemeinerung dieser „Remonstrationstheorie“ mit
Recht Laband 1 461 N. 1; Freund, ÄrchOffR 1 124 ff.; Bornhak, PrStR 2
49; Seydel, Bay. StR (2. Aufl.) 2 224.
8 So die heute herrsch.M., geführt von Laband, StR 1 462ff., vertreten
u. a. von Seydel, Pilnty, Freund, van Calker, Bauer, Reindl, Marschall
v. Bieberstein, M. E. Mayer (Zitate oben N. 6), ferner von Binding, HbStR
1 805 ff.; Rehm, AnnDR 1885 83 ff,; Arndt, RStR 64; Perels und Spilling,
RBG 36, 37, ähnlich Preuß, Städt. Amtsrecht 298—802.
h Zutreffend Bornhak, PrStR 2 50: „Mit der Anerkennung des un-
bedingten formellen Prüfungsrechts kommt man mit Notwendigkeit dahin,
diese Rechtsfragen (d. h Zuständigkeitsfragen) der Entscheidung des Voll-
streckungsbeamten als höchsten Kompetenzgerichtshofes anheimzustellen.“
Ahnlich O. Mayer und Heilborn.