Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

626 Zweiter Teil. Zweites Buch. $ 153. 
I. Unzweifelhaft war immer, daß eine Entziehung des Amtes 
durch strafgerichtliche Verurteilung (sogenannte Kassation) statt- 
finden könne. Im achtzehnten Jahrhundert fand dieser Grundsatz 
durch zahlreiche strafgesetzliche Bestimmungen eine ausdrückliche 
Anerkennung!. Im übrigen bestand unter den Juristen eine große 
Meinungsverschiedenheit?. In früherer Zeit wurde ein willkürliches 
Entlassungsrecht des Dienstherrn angenommen und_ tatsächlich 
häufig ausgeübt. Nur für die Mitglieder des Reichskammergerichtes 
galt schon im siebzehnten Jahrhundert der Grundsatz, daß sie nur 
durch richterliches Urteil ihres Amtes entsetzt werden könnten. 
Erst später gelangte derselbe auch hinsichtlich der Mitglieder 
des Reichshofrates zur Anerkennung®. Im achtzehnten Jahr- 
hundert bildete sich, namentlich unter dem Einflusse des Frei- 
herrn Joh. Ulrich von Cramer, die Theorie aus, daß jeder Beamte 
ein festes Recht auf sein Amt habe, welches ihm nur durch richter- 
liches Urteil entzogen werden könne. Diese kam auch in der Praxis 
der höchsten Reichsgerichte zur Geltung. Dagegen wurde sie von 
den Landesgesetzgebungen nur in beschränkter Weise, z. B. von 
der preußischen lediglich für Richter, akzeptiert*. Nichtrichter- 
liche Beamte konnten in Preußen durch einen Beschluß des Staats- 
rates entlassen werden, welcher bei denjenigen Beamten, deren 
Ernennung vom Landesherrn ausging, der Tandesherrlichen Be- 
stätigung bedurfte®. 
Im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts entstand eine neue 
Theorie, als deren Hauptvertreter Gönner erscheint. Nach der- 
selben besitzt der Staatsdiener zwar einen festen Anspruch auf 
seine Besoldung, nicht aber auf sein Amt. Die Entlassung 
mit Entziehung des Gehaltes ist nur auf Grund eines richterlichen 
Urteils zulässig. Dagegen kann eine Entlassung mit Belassung des 
Gehaltes oder einer Pension ohne weiteres durch administrative 
Verfügung erfolgen®. Diese Theorie fand ihren Ausdruck in der 
bayerischen Gesetzgebung von 1805 und 18187. 
Demgegenüber haben andere deutsche Gesetzgebungen, nament- 
an nn nt 
1 Vgl. z. B. PrALR T. II Tit. Il 20. 
° vel. darüber H. A. Zachariä $ 143; Relım, AnnDR 1884 576 ff.: I,abes 
ebenda 18°9 217 ft. 
s W. C. von 1792 Art. XXIV 8 10. 
* PrALR II 17 8 99. Vgl. Bornhak, PrStR 2 11, 12. 
6 PrALR II 10 8$ 98-101. Bornhak, a. a. O. 
& Gönner $$ 107--110. — Ihm schließt sich an Pfeiffer, Praktische Aus- 
führungen 1 281 fl. und Heffter, Beiträge lI41ff.' Als gemeines deutsches 
Recht wird die Gönnersche Theorie vom Reichsgericht (RGZ 10 182ff., JW 
87 22ff.) behandelt. Dieser Anschauung liegt aber eine in der Praxis nicht 
selten vorkommende Verwechslung von Dogma und Rechtssatz zugrunde. 
Vgl. ©. ‚Wendt, Rechtssatz und Dogma, in Jherings Jahrbüchern für Dogma- 
tik 22 299 ff. 
? Bayerische Hauptlandespragmatik vom 1. Jan. 1805 Art. 8—12; Edikt 
über die Verhältnisse der Staatsdiener (9. Verfassungs-Beilage) vom 26. Mai 
1818, 8 19. Vgl. Rehm, AnnDR 1885 208, O. Mayer, VR 2 230 N. 22.
	        
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