Die Funktionen. $ 159. 641
Die Gesetzgebung betätigt sich teils im Erlaß neuer, teils in
der Abänderung und Aufhebung bestehender Rechtsnormen:,
ferner in der authentischen Interpretation. Letztere erscheint
zwar formell als die Auslegung eines Gesetzes, aber sie ist nicht
wie die doktrinelle Interpretation an logische Schlußfolgerungen
gebunden und daher imstande, neues Recht zu schaffen.
Bei der Betrachtung der Gesetzgebung sind verschiedene
Arten derselben zu unterscheiden.
1. Unter Gesetzgebung im weiteren Sinne versteht
man die rechtserzeugende Tätigkeit jedes Gemeinwesens, Im
engeren Sinne bezeichnet man mit Gesetzgebung nur die
rechtserzeugende Tätigkeit des Staates, [während die der inner-
staatlichen Verbände (z. B. der Selbstverwaltungskörper, ins-
besondere der Gemeinden und anderer Kommunalverbände, ferner
der regierenden Häuser und der standesherrlichen Familien) und
Korporationen im Staate Autonomie (Selbstgesetz-
gebung) genannt wird]. Die Autonomie ist demnach eine Art
der materiellen Gesetzgebung. Während die Autonomie in früherer
Zeit für die Rechtserzeugung von großer Bedeutung war, ist sie
neuerdings hinter der gesetzgeberischen Tätigkeit des Staates mehr
und mehr zurückgetreten. Sie beschränkt sich auf die Regelung
der inneren Organisation der autonomen Verbände sowie der
rechtlichen Stellung der Mitglieder zu denselben. Die Ordnung
der Rechtsverhältnisse der einzelnen Privaten zueinander ist
dagegen ausschließlich Sache des Staates geworden. Die Staats-
gesetzgebung ist der Autonomie übergeordnet, letztere darf
sich nur innerhalb der von der ersteren gezogenen Schranken be-
wegen.
Die Kirche stand im Mittelalter dem Staate als gleich-
berechtigtes Gemeinwesen zur Seite und nahm auch hinsichtlich
der Rechtserzeugung eine ihm durchaus ebenbürtige Stellung ein.
Dieses Verhältnis hat sich in neuerer Zeit vollständig geändert,
die Kirchen sind der Hoheit des Staates ebenso wie andere
Korporationen unterworfen worden. Auch die rechtserzeugende
Tätigkeit der Kirchen muß die von der Staatsgesetzgebung ge-
-zogenen Schranken beobachten. Sie hat den Charakter der
Autonomie. Trotzdem bezeichnet man sie in Berücksichtigung
der hervorragenden Bedeutung der Kirchen und der in ihnen
bestehenden ausgebildeteren Herrschaftsverhältnisse häufigd eben-
ec — einschließlich der Abänderung oder Aufhebung und Norm für den
einzelnen Fall durch Statuierung von Ausnahmen in Gestalt von Privilegien
oder Dispensationen; vgl. unten 645,8178. Privileg und Dispensation befreien
von der Herrschaft einer allgemeinen Norm und setzen ein Sonderrecht für
den einzelnen Fall bezw. eine einzelne Person. Befugt hierzu ist nur der,
welcher die Norm erlassen hat, der Geber des Gesetzes, oder der, den er
dazu ausdrücklich ermächtigt hat.
. „ 4Amtlich angenommen ist der Ausdruck „Gesetz“ nur im evange-
lischen Kirchenrecht (vgl. Schoen, Evangelisches Kirchenrecht in Preußen
2 248 ff., das katholische kennt ihn nicht.