Die Funktionen. $ 155. 643
ist das zur Schaffung von Gesetzen im materiellen Sinne (also
zur Rechtssetzung) spezifisch, wenn auch nicht ausschließlich be+
rufene Staatsorgan: in der konstitutionellen. Monarchie der
Monarch im verfassungsmäßigen Zusammenwirken mit der Volks-
vertretung.
Voraussetzung dieses Begriffes des Gesetzes im formellen Sinne
ist erstens, daß der Staat die Befugnis, Gesetze im materiellen
Sinne zu geben, Recht zu setzen, an sich gezogen hat und zweitens,
daß zur Ausübung dieser Befugnis ein besonderes selbständiges
Organ besteht. Diese beiden Voraussetzungen sind nicht selbst-
verständlich, auch nicht immer verwirklicht gewesen. Die erste
der beiden bedeutet, daß die rechtssetzende Gewalt als Funktion
der Staatsgewalt, das Recht somit als Staatswille erscheint; ein
Verhältnis zwischen Staat und Recht, welches nicht überall und
stets bestanden hat. Der altgermanische und frühmittelalterliche
Staat hat nichts davon gewußt; damals — und in gewissem Sinne
das ganze Mittelalter hindurch — „war die gesetzgebende Gewalt
in der Staatsgewalt noch nicht enthalten“e. Erst der nach dem
Ende des Mittelalters emporkommende monarchische Absolutismus
nimmt, mit festem Willen zur Macht und auf römische Anschau-
ungen zurückgreifend, das Recht zur Gesetzgebung im materiellen
Sinne für die Staatsgewalt in Anspruch. Bildet so die erste der
beiden Voraussetzungen des hier erörterten Gesetzesbegriffes eine
Errungenschaft des Absolutismus, so ist die andere — die
Verselbständigung der Legislative als eines besonderen, zur Aus-
übung der rechtssetzenden Macht berufenen Staatsorganes — erst
dem Konstitutionalismus zu danken. Das Grundprinzip
des konstitutionellen Staates fordert die organische Trennung der
rechtssetzenden (gesetzgebenden) von der rechtsanwendenden
(richterlichen und vollziehenden) Gewalt. Der den Absolutismus
kennzeichnenden Vereinigung der beiden Gewalten in der Hand
des Herrschers wird, mit der Begründung, daß solche Vereinigung
die Freiheit vernichte (Montesquieu)f, „daß eine Regierung, welche
zugleich Gesetze gibt, despotisch zu nennen wäre“ (Kant) die
Forderung der Teilung der Gewalten entgegengesetzt: eine Oppo-
sition mit zunächst wissenschaftlichem, schließlich praktischem
Erfolg. Der absolute Staat wird nach dem Richtmaß der Ge-
waltenteilung umgestaltet, der Monarch beim Erlaß von Gesetzen
im materiellen Sinne, also bei Ausübung der rechtssetzenden Ge-
walt an die Zustimmung einer Volksvertretung gebunden und so
für diese oberste der Staatsfunktionen ein besonderes Organ, die
Legislative, geschaffen, ein Organ, dessen Willen für Alle
im Staat, das Volk wie den Monarchen, gleicherweise verbindlich
und unverbrüchlich ist. Damit war erst die Möglichkeit von
e Sohm, Fränkische Reichs- und Rechtsgeschichte 1 102.
f Oben $ 8 Anm. e, $ 54