Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

644 Zweiter Teil. Drittes Buch. $ 155. 
„Gesetzen im formellen Sinne* gegeben: Gesetze im formellen 
Sinne sind alle von der konstitutionellen Legislative — in Deutsch- 
land von dem Träger der Staatsgewalt im verfassungsmäßigen 
Zusammenwirken mit der Volksvertretung — ausgehenden, in dem 
für die Legislative verfassungsmäßig vorgeschriebenen Verfahren 
erlassenen Staatsakte. Diese Akte, sie alle und nur sie, sind und 
heißen „Gesetze“, d.h. Gesetze im formellen Sinne. Sie führen 
diesen Namen lediglich um ihres Ursprungs und ihrer Form willen, 
ohne Rücksicht auf ihren Inhalt, der aus Gesetzen im materiellen 
Sinne, Rechtsnormen, bestehen kann, in der Regel bestehen wird, 
aber nicht bestehen muß. 
Das Gesetz im formellen Sinne ist der oberste Wille im Staat, 
in ihm zeigt die Staatsgewalt die höchste Steigerung ihres Könnens. 
Hieraus ergeben sich mehrere Folgerungen. 
1. Rechtliche Schranken bestehen für die formelle Gesetz- 
gebung nur insofern, als die Staatsgewalt überhaupt rechtlich be- 
schränkt ist. Letzteres trifit zu für die Gliedstaaten eines Bundes- 
staates, mithin auch für die deutschen Einzelstaaten und die ihnen 
zustehende gesetzgebende Gewalt, welch’ letztere durch die Reichs- 
gesetze und die Pflichten des Einzelstaats gegenüber dem Reich 
beschränkt iste, während die Gesetzgebungshoheit des Reichs als 
Betätigung einer souveränenh Gewalt keiner rechtlichen Be- 
schränkung unterliegti. Nicht dasselbe Verhältnis wie zwischen 
Landes- und Reichsgesetzgebung herrscht zwischen den einfachen 
formellen Gesetzen eines staatlichen Gemeinwesens (Land, Reich) 
und der Verfassung desselben Gemeinwesens: es besteht bei 
unsk keine besondere, von der gesetzgebenden Gewalt getrennte, 
ihr rechtlich übergeordnete verfassunggebende Gewalt. Verfassungs- 
und einfaches Gesetz verhalten sich zu einander nicht wie das 
Reichs- zum Landesgesetz oder wie das Gesetz zur Verordnungl. 
Verfassungsgesetz und, einfaches Gesetz gelten in Reich wie in 
den Einzelstaaten als Außerungen einer und derselben Ge- 
walt: der Legislative; die Verfassung steht demnach nicht über 
der Legislative, sondern zur Disposition derselbenm, Freilich 
müssen die als „Legislative“ zusammenwirkenden staatlichen 
Willensträger, Regierung und Parlament, die in der Verfassung 
enthaltenen Formvorschriften, namentlich auch, gegebenenfalls, 
g vel unten $ 167. 
bh Oben $ 14 8. 50. 
1 Es ist nur die Rede von staatsrechtlichen Beschränkungen; die auf 
dem Völkerrecht beruhenden Schranken der Staats- und damit auch der 
gesetzgebenden Gewalt bleiben hier unerörtert. Vgl. dazu Triepel, Völker- 
recht und Landesrecht 268 ff. 
k — im Gegensatz zu manchen fremden Staaten, z. B. Nordamerika; vgl. 
unten 8 173. 
I Unten $ 159. 
m R unten $ 158, S. 662; Anschütz, Enzykl. 166, Kommentar zur 
preuß. VU 1 66.
	        
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