656 Zweiter Teil. Drittes Buch. $ 151.
Verfassungenb, namentlich den älteren, mit unbedeutenden Ver-
schiedenheiten im Wortlaut typisch wiederkehrenden formelhaften
Wendung ist überall derselbe. Die Formel „Freiheit und Eigen-
tum“ will das Gebiet der Gesetzgebung im materiellen Sinne
b Bayer. Verf. Tit. VII $ 2, Bad. Verf. $ 65, S.-Weim. RevGrG $ 4
Nr. 6, S.-Mein. GrG& $ 85, S.-Alt. GrG $& 201, Lipp. G. vom 8. Dez. 1867
88 1, 2. (Ahnlich auch Braunschw. NLO 8 98, Anh. LO $ 19.) Die Freiheit-
und Eigentum-Formel findet sich ferner in den Entwürfen der württem-
bergischen und sächsischen Verfassung von 1815—1817 bezw. 1831_(vgl.
Reyscher, Sammlung württembergischer Gesetze 8 308, 370; O. Mayer, Säche.
StR 156 N. 2); auch in der preuß. Verord. vom 22. Mai 1815 über die zu
bildende Repräsentation des Volkes, dem preuß. G. vom 5. Juni 1823 über
die Provinzialstände und dem preuß. Pat. vom 3. Febr. 1847 die ständischen
Einrichtungen betr. war die legıslative Zuständigkeit der durch diese Normen
eschaffenen bezw. verheißenen ständisch-repräsentativen Versammlungen
(vel. Anschütz, Komm. 1 8, 18, 25) vermittelst jener Formel abgegrenzt.
Die Geschichte der Freiheit- und Eigentum - Formel ist eng verknüpft
mit dem Namen des Freiherrn vom Stein. Stein hat die Formel zuerst auf-
estellt, und zwar im Jahre 1814, als es sich darum handelte, in die von
reußen in Aussicht genommene, zwischen den deutschen Regierungen zu
vereinbarende deutsche Bundesverfassung (oben $ 55 S. 150) das Gebot der
Einführung konstitutioneller („landständischer“) Verfassungen in den Einzel-
staaten und die Zusicherung eines Mindestmaßes landständischer Rechte
aufzunehmen. Als im Juli 1814 Hardenberg eine solche Bundes-
verfassung entwarf, wurde dieser Entwurf auch Stein zur Begut-
achtung mitgeteilt. Stein wollte den in dem Entwurf unbestimmt gelassenen
Anteil der künftigen deutschen Stände an der Gesetzgebung näher präzisiert
wissen und befürwortete zu diesem Zwecke die Aufnahme folgenden Satzes:
Wichtige, das Eigentum, die persönliche Freiheit und die Verfassung
betreffende neue Landesgesetze können ohne den Rat und die Zustimmun
der Landstände nicht eingeführt werden“ (M. Lehmann, Frhr. v. Stein,
994). In dieser Gestalt gelangte die Freiheit- und Eigentum-Formel zunächst
in die — gleichfalls von Stein maßgebend beeinflußte — Verfassung des
Herzogtums Nassau vom 1./2. Sept, IS 5 2 (Lehmann, a.a.O. 401), sodann
in die (im Auftrage Hardenbergs von W. v. Humboldt 1814 und 1815 ver-
faßten preußischen Entwürfe einer deutschen Bundesverfassung (vgl. Franz
Rosin, Gesetz und Verordnung nach badischem StR 49 ff.), im Zusammen-
hang damit in die preuß. Verord. vom 22, Mai 1815 (s. oben), weiter in das
weimarische Gr& vom 5. Mai 1816 und in die übrigen oben (im Eingang
dieser Anm.) bezeichneten Entwürfe und Verfassungen, namentlich in die
bayerische und badische Verfassung.
Woher Stein die Formel bezw. die ihr immanenten Gedanken genommen
hat, ist noch nicht aufgeklärt (die bishereingehendsten Untersuchungen hier-
über bei Franz Rosin, a.a.0.34ff., vgl. auch Hubrich, VerwArch 1: 48 ff.; Meisner,
ArchÖffR 36 253). Er glaubte und beabsichtigte wohl, an Einrichtungen des
alten deutschen Ständewesens anzuknüpfen, wobei er sich von der (Irrigen,
vol. oben & 156 S. 649) Vorstellung leiten ließ, daß den Landständen alten
Stils die Mitwirkung beim Erlaß aller in Freiheit und Eigentum eingreifenden
Normen zugestanden habe. In Wahrheit stand er hier unter dem Einfluß natur-
rechtlicher Ideen und Forderungen, welche, dem 18. Jahrhundert ganz ge-
läufig, bis auf Locke und Althusius, vielleicht noch weiter zurückleiten, und
dahin gehen, daß Freiheit und Eigentum der Individuen nicht nach Willkür
des Herrschers, sondern nur durch den dem Herrscherwillen übergeordneten
allgemeinen Willen — m. a. W. das Gesetz im formellen Sinne — ein-
geschränkt werden dürfen: als Repräsentant des allgemeinen Willens be-
trachtete Stein den Landesherrn im Zusammenwirken mit den zur Volks-
vertretung fortentwickelten Landständen.