Die Funktionen. $ 168. 687
5. Das vom Bundesrate sanktionierte Gesetz ist gemäß Art. 17
RV zunächst vom Kaiser auszufertigen. Ausfertigen heißt
beurkunden. Was der Kaiser hier, unter verantwortlicher Gegen-
zeichnung des Reichskanzlers, beurkundet, ist einerseits die Echt-
heit des Gesetzestextes, insbesondere die Übereinstimmung des
vom Bundesrate sanktionierten Gesetzesinhalts mit den Beschlüssen
des Reichstags, andererseits die Legalität des Gesetzgebungs»-
verfahrense. Diese Punkte sind vor der Ausfertigung zu prüfen.
Finden sich Mängel, so ist die Ausfertigung bis zu deren Be-
seitigung zu verweigernf. Andernfalls darf die Ausfertigung nicht
verweigert werden, denn ein Veto gegen die Beschlüsse von Bundes-
rat und Reichstag hat dem Kaiser durch RV Art. 17 nicht beigelegt
werden wollen (oben 500, 682 Anm.5, unten 688). Die in der kaiser-
lichen Ausfertigung liegende Beurkundung der Echtheit und Gultig-
keit des Gesetzes kann von keinem, der das Gesetz zu befolgen bzw.
anzuwenden hat (Behörden und Individuen) einer Nachprüfung
— [un
1. Dezember 1898 und das G. betr. Aufhebung des 2 des Jesuitengesetzes
v. 4. Juli 1872, vom 8. März 1904. Letzteres beruht auf einem lInitiativ-
beschlusse des Reichstags vom 25. Jan. 1899, dem der Bundesrat unter dem
8. März 1904 seine Zustimmung und Sanktion gab, worauf die kaiserliche
Ausfertigung am gleichen Tage erfolgte. Vgl. dazu Laband, a. a. O. 321 ff. und
die oben $ 158 Anm, c angeführten Schriften von Laband, Kahl, Arndt,
Anschütz, Müller, Rauschenberger. Letzterer führt, 44 ff. seiner zit. Schrift,
noch weitere Präzedenzfälle an. Bemerkenswert die Äußerung des Staats-
sekretärs des Reichsjustizamts, Dr. Nieberding, im Reichstage, 14. April 1904
Sten. Ber. 1903/04 8 2082, 2088): „Seit der Errichtung des Reichs steht die
ichsverwaltung nnd stehen die verbündeten Regierungen, und ich darf
wohl sagen, auch der Reichstag auf dem Standpunkte, daß ein Beschluß des
Reichstags solange eine reale politische und rechtliche Potenz ist, mit welcher
der Bundesrat zu rechnen hat, als der Reichstag nicht selbst dem Bundesrat
erklärt, daß er auf seinen Beschluß verzichte.“ Danach kann der Reichstag
von ihm früher gefaßte sanktionsfähige Beschlüsse, insbes, Initiativbeschlüsse,
bis zur erteilten Sanktion zurücknehmen. Übereinstimmend Laband, a. a. 0.323;
Rauschenberger, a. a. 0. 47 fl.
Der Reichstag hat in einer Resolution v. 16. April 1904 verlangt, daß
ein Reichsgesetz die Zeitgrenze der Sanktionserteilung auf das Ende der
Legislaturperiode festsetze. Ein solches Reichsgesetz ist nicht ergangen.
e Dem Wortlaut des Art. 17 RV gegenüber, wonach dem Kaiser nicht
nur die „Verkündigung“, sondern neben und vor derselben auch die „Aus-
fertigung“ der Reichsgesetze zusteht, erscheinen die in der Voraufl., $ 158
N. 8, erhobenen Bedenken gegen den Begriff der Ausfertigung nicht stich-
haltig. Wesen nnd Inhalt des Begriffs sind allgemeinen Rechtsgrundsätzen
zu entnehmen. Vorbildlich : Laband 2 42 ff. Die oben $ 158 Anm. e zurück-
gewiesene Behauptung Fleischmanns, daß die Ausfertigun der Sanktion
vorausgehe, ist auch für das Reichsstaatsrecht völlig unhaltbar.
f Damit ist, indem der Kaiser aus formellen Gründen die Ausfertigung
eines Gesetzes ablehnt, tatsächlich die Möglichkeit gegeben, daß er ein
ihm staatsrechtlich nicht zustehendes Vetorecht ausübt; richtig Schoen
a. a. O. 291. Darüber, ob ein der Ausfertigung, entgegenstehender Mange
vorhanden oder behoben ist, entscheidet der Kaiser — immer unter Ver-
antwortlichkeit des Reichskanzlers — frei und selbständig; die Meinungen
des Bundesrates und des Reichstags sind für ihn in dieser Hinsicht nicht
maßgebend. Vgl. oben Anm. 10 und Anschütz, Enzykl, 158 Anm. 1.
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