Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

726 Zweiter Teil. Drittes Buch, $ 171. 
2. Verteilung der Funktionen der Justiz unter die einzelnen Organe. 
8 171. 
I. Die Gerichte, welche in Deutschland ursprünglich den 
Charakter königlicher Gerichte besaßen, waren mit der Ausbildung 
der Landeshoheit Landesgerichte geworden (s. o. $ 24). Der 
König übte nur in dem von ihm selbst oder einem Stellvertreter 
geleiteten königlichen Gerichte (Reichshofgericht, Kammer- 
gericht) die oberste Gerichtsbarkeit aus, und dieses besaß kon- 
urrierende Zuständigkeit mit den Landesgerichten. Letztere wurde 
aber mit der Gründung des Reichskammergerichtes (s, 0. $ 25) 
definitiv beseitigt, nachdem sie schon vorher durch zahlreiche 
privilegia de non evocando durchbrochen war. In der Zeit vom 
sechzehnten bis achtzehnten Jahrhundert besaßen die Reichs- 
gerichte teils eine Jurisdiktion gegenüber Reichsunmittelbaren, 
teils eine Appellationsgerichtsbarkeit gegenüber den Entscheidungen 
der Landesgerichte. Doch war letztere für viele Territorien durch 
besondere privilegia de non appellando ausgeschlossen. 
Mit dem Untergange des deutschen Reiches kam auch seine 
Gerichtsbarkeit in Wegfall und die gesamte Rechtspflege gelangte 
in die Hände der Landesgerichte. Insonderheit stand dem 
deutschen Bunde keinerlei Gerichtsbarkeit zu (s. 0. $ 48). Die 
Grundverträge desselben trafen nur einige Bestimmungen über die 
Bildung gemeinsamer oberster Gerichte für die kleineren Bundev- 
staaten. 
Dagegen legte sich der Norddeutsche Bund schon bald 
nach seiner Gründung eine Reihe von Funktionen auf dem Ge- 
biete der Justiz bei, welche später auf das Deutsche Reich 
übergingen. Zu diesen gehörte die Konsulargerichtsbarkeit über 
Bundes bzw. Reichsangehörige in gewissen außereuropäischen 
Ländern, die Marinestrafrechtspflege, vor allem aber dıe Juris- 
diktion des Bundes-, nachmals Reichsoberhandelsgerichtes. Diese um- 
faßte die letztinstanzliche Entscheidung über folgende Gegenstände: 
1. bürgerliche Rechtsstreitigkeiten in Handelssachen !: 
2. Entschädigungsansprüche gegen den Reichsfiskus wegen 
Aufhebung der Abgaben von der Flößerei?; 
3. zivil- und strafprozessuale Sachen auf Grund der Reichs- 
gesetze über das Urheberrecht an Schriftwerken, Werken der 
bildenden Künste und Photographien®; . 
1 Der Begriff der Handelssache war festgestellt durch $ 13 des G. vom 
12. Juni 1869. Später wurden für Handelssachen erklärt: Streitigkeiten, 
welche sich auf die Rechtsverhältnisse von Aktiengesellschaften und Kom- 
manditgesellschaften auf Aktien beziehen (G. vom 11. Juni 1870 Art. 174 u. 
208), Streitigkeiten über Markenschutz (G. vom 30. Nov. 1874 $ 19), Streitig- 
keiten über die Entziehung der Befugnis einer Privatbank zur Ausgabe von 
Noten (Reichsbankgesetz vom 14. März 1875 $ 50), Streitigkeiten über Muster- 
schutz (B vom 11. Jan. 1876 8 15). 
8 RG über die Abgaben von der Flößerei vom 1. Juni 1870. 
8 RGG vom 11. Juni 1870, 9. u. 10. Jan. 1876.
	        
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