Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

138 Zweiter Teil. Drittes Buch. $ 173. 
[I. In mehreren deutschen Einzelstaaten ist das richterliche 
Prüfungsrecht durch ausdrückliche Verfassungsbestimmungen ge- 
regelt. Diese Bestimmungen beschränken die Prüfung bei Ge- 
setzen auf die Frage der ordnungsmäßig erfolgten Verkündigung 
und schließen sie im übrigen aus&, während sie bei Verordnungen 
die Prüfung des gesetzmäßigen Zustandekommens und der mate- 
riellen Rechtsgültigkeit entweder allgemeinb oder doch dann ge- 
statten, wenn die Verordnung nicht vom Landesherrn, sondern 
von einer Behörde erlassen worden ist“. 
In diese Staatengruppe gehört vor allem Preußen, dessen 
Verfassungsurkunde — Art. 106 Abs. 1 u, 2 — bestimmt: „Ge- 
setze und Verordnungen sind verbindlich, wenn sie in der vom 
Gesetze vorgeschriebenen Form bekannt gemacht worden sind. 
Die Prüfung der Rechtsgiltigkeit gehörig verkündeter König- 
licher Verordnungen steht nicht den Behörden, sondern nur den 
Kammern zu“®d, Hiernach ist die Frage der Rechtsgültigkeit einer 
vom König erlassenen und gehörig verkündeten Verordnung eine 
Frage ausschließlich zwischen der Staatsregierung und dem Land- 
tage („den Kammern“). Nur der Landtag kann die Rechtsgültig- 
keit einer königl. Verordnung beanstanden, nicht diejenigen, welche 
die Verordnung zu befolgen bzw. anzuwenden haben: Behörden 
und Untertanen. Damit ist auch das Prüfungsrecht des Richters 
auf die Frage beschränkt, ob die Erfordernisse der Publikation ® 
» Preuß. Verf. Art. 106 (s. weiter unten im Text), Braunschweig, NLO 
100, Old. StGG Art. 141, Schw.-Rud. GG 8 26, Schw.-Sond. LGG 8 41, 
euß j. L. LGG 8 107, Wald. Verf. $ 9. 
b So Braunschweig und die beiden Schwarzburg; s. die vorstehenden 
(Anm. 2 Zitate, 
ce 8o Preußen (s. d. Text) und Reuß R% L. $ 107 Abs. 3. In Oldenburg 
ist durch das StGG Art. 141 $ 2 die Prüfung der materiellen Rechtsgültig- 
keit nicht nur bei landesherrlichen, sondern bei allen Verordnungen aus- 
eschlossen; vgl. Schücking, Oldenb. StR 239. Über die Frage, ob zu den 
erordnungen in diesem Sinne auch Hausgesetze gehören, vgl. die bei Saxl, 
Materialien und Gesetz (1907) 122 ff., 137 abgedruckten Entscheidungen des 
oldenburgischen OLG und des RG, sowie Schücking a. a. O.N, 1. 
4 Über Art, 106, insbes, Abs. 2: E. A. Chr. (v. Stockmar), Studien z. 
preuß. Staatsrecht, in der Ztschr. f. deutsches StR 1 179 ff.; John, ebenda 
fi.; v. Roenne ebenda 885 ff.; v. Roennc, Preuß. Staater. (4. Aufl.) 1 407 ff. 
(abweichend die Ausführungen Zorns in der 5. Aufl. des Roenneschen Werkes 
8 59 ff); Bornhak, Preuß. StR 1 551ff.; Arndt, Komm. zu Art. 106 N. 8—10; 
Smend, Die Preuß. Verf. im Vgl. mit der Belgischen 55 ff. ; Schack a. a. O. 214 ff. 
. 2 Über die Publikation von Verordnungen vgl. oben $ 159 S. 671, 673. 
Die Prüfung des Richters erstreckt sich auch darauf, ob die betr. Verord- 
nung überhaupt der Publikation bedurfte (oben a. a. 0.). Daß königliche 
Verordnungen unter allen Umständen in der G.-S. zu verkündigen seien 
(Voraufl. 635), ist ein Irrtum. Nur bei Gesetzen gehört der Abdruck in der 
G.-S. zu den Erfordernissen einer „gehörigen Verkündigung“. Ob die Publika- 
tion von einem Minister gegengezeichnet ist, ist sowohl bei Gesetzen wie 
bei Verordnungen zu prüfen. Die Behauptung v. Roennes, preuß,. StR (4. Aufl.) 
1 405, daß der Richter auch die Erwähnung der Zustimmung des Landtages 
in der Publikationsformel und das Vorhandensein dieser Zustimmung zu 
rüfen habe, ist mit den Bestimmungen der preuß. Verf. nicht vereinbar. 
gl. dagegen E. A. Chr. a, a. O. 1d85ff.; John, a. a. O. 263; H. Schulze.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.